Schleichendes Gift
Kinderkleidung tragen konnte.
»Alles klar, Dixie?«, fragte sie die untersetzte Frau am Mischpult.
»Genau richtig. Gute Sendung, Bindie. Du hast Besuch«, meinte Dixie und wies mit einer Kopfbewegung auf Carol und Sam, die auf den anderen beiden Stühlen saßen.
Bindie sah sie an und ließ die Schultern sinken. »Müssen wir das jetzt machen? Ich bin doch gerade mit der Arbeit fertig.«
»Und wir arbeiten noch«, erwiderte Carol, zeigte ihren Dienstausweis und stellte sich vor. »Es ist unsere Aufgabe herauszufinden, wer für Robbie Bishops Tod verantwortlich ist.«
»Ja, aber er ist doch tot, oder? Was spielt es für eine Rolle, wer es getan hat? Es ist doch nur wichtig, dass Robbie nicht mehr da ist. Sie können daran nichts ändern.« Dies war eine ganz andere Bindie als die, welche die letzten beiden Stunden Musik gespielt hatte, um ihren toten Freund zu feiern und zu ehren. Jetzt klang sie einfach nur bitter und wütend. Dixie, die Produzentin, erstarrte und sah zwischen Bindie und Carol hin und her.
»Es tut mir um Robbie leid«, versicherte Carol. »Aber nach meiner Erfahrung hören Leute, die kaltblütige Verbrechen wie dieses begehen, nicht nach einem Opfer auf. Ich will den, der Robbie umgebracht hat – wer immer es auch war – daran hindern, einem anderen das Leben zu nehmen.«
»Na schön! Weshalb sind Sie dann hier? Warum sind Sie nicht dort draußen und tun das, was immer Sie dort tun sollten?« Bindie ging zu den Kleiderhaken und nahm eine dunkelgrüne Fleecejacke herunter.
»Ich habe einen Kollegen, einen Psychologen. Eines der Dinge, die er mir beigebracht hat, ist, auf den Punkt zu achten, an dem sich die Wege eines Opfers und seines Mörders überschneiden. Je mehr ich über das Opfer herausfinde, desto größer ist meine Chance, näher an diesen Schnittpunkt heranzukommen. Und was die Vertrautheit mit Robbie angeht, sind Sie die Expertin. Deshalb muss ich mit Ihnen sprechen, und deshalb muss es jetzt sein.«
Bindie rollte mit den Augen. »Sie klingen wie dieser Kerl in Criminal Intent – Verbrechen im Visier . Also gut, Sie haben gewonnen. Aber lassen Sie uns woanders hingehen. Ich brauche ’ne Zigarette und etwas zu trinken.« Sie drehte sich um und sagte: »Bis morgen, Dixie.« Dixie sah verstimmt aus, als sie zum Abschied nickte.
Draußen im Korridor schlug Bindie vor: »Treffen wir uns bei mir zu Hause. Es ist nur zehn Minuten zu fahren.« Sie sah Sam zum ersten Mal an. »Haben Sie ’n Zettel und was zu schreiben?«
Sie kritzelte Adresse und Wegbeschreibung darauf. »Wenn Sie Milch im Tee möchten, müssen Sie bei der Tanke vorbeigehen.« Und weg war sie, auf ihren kurzen Beinen verschwand sie viel schneller, als man es für möglich gehalten hätte.
Fünfzehn Minuten später rollte Sam langsam eine der vornehmen, hufeisenförmigen Straßen von Notting Hill hinunter und suchte vergebens einen Platz zum Parken. »Mist!«, fluchte Carol. »Wir könnten die ganze Nacht weitersuchen. Parken Sie einfach in zweiter Reihe. Lassen Sie einen Zettel mit Ihrer Handynummer da, falls jemand nicht rauskann.«
Sam hielt vor der Hausnummer, die Bindie ihnen gegeben hatte. Ein Bewegungsmelder ließ eine Lampe aufleuchten, als sie die Stufen unter dem weißen, von Säulen getragenen Vordach hinaufstiegen, damit sie die Namen lesen konnten, die neben den vier Knöpfen der Sprechanlage standen. »Blyth«, war der dritte von oben. Sam drückte auf den Knopf und wartete, während er mit der Milchpackung leise an seinen Oberschenkel klopfte. Carol starrte böse in eine Überwachungskamera.
Innerhalb von Sekunden sagte eine verzerrte Stimme: »Erster Stock«, und es summte an der Tür. Ihre Schritte klapperten auf den schwarzweißen Terrazzofliesen, mit denen der schmale Flur ausgelegt war, bevor das Geräusch vom dicken Teppich auf der Treppe geschluckt wurde. »Nicht schlecht, die Unterkunft«, murmelte Sam.
Bindie erwartete sie schon und stand im ersten Stock an der Tür, die Arme verschränkt und die Knöchel überkreuzt. Irgendwann in der letzten Viertelstunde hatte sie ein leichtes Make-up auflegen können, das eine gewisse Distanz zwischen sie und die Besucher brachte. Ohne etwas zu sagen, trat sie mit einer einladenden Geste zurück. Die Diele war groß genug für einen Billardtisch, auf dem Kugeln samt Dreieck bereitlagen, vier Billardqueues hingen dahinter an der Wand. Zwischen den Türen, die nach allen Seiten wegführten, wurden düstere Schwarzweißfotos von Billardsälen und
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