Schleichendes Gift
nie rausfinden sollten, dass es Mord war.«
Mittwoch
4:27 laut der Uhr in der rechten unteren Ecke des Laptops. Guter Schlaf hatte nie zu Tonys Talenten gehört, aber das Schmerzmittel schien ihn vollends durcheinandergebracht zu haben. Er war gegen zehn Uhr relativ leicht eingeschlafen, aber das hatte nicht lange angehalten. Der Schlaf kam immer nur in Schüben von fünfzig Minuten, dazwischen gab es unterschiedlich lange Wachphasen. Während die Zeitspanne von fünfzig Minuten ja ironischerweise tatsächlich zu einem klinischen Psychologen passte, hätte er sich aber dennoch eine bessere therapeutische Wirkung gewünscht.
Zuletzt war er kurz nach vier Uhr wieder zu Bewusstsein gekommen. Diesmal wusste er instinktiv, dass er nicht gleich wieder einschlafen konnte. Zuerst lag er still, und obwohl er die besten Absichten gehabt hatte, an etwas anderes zu denken, drehten sich seine Gedanken um die Tatsache, dass seine Mutter wieder in seinem Leben aufgetaucht war. Es brachte ihm ja sowieso nur Frustration und Bedauern, und Schmerz und Bitterkeit zwangen ihn zu immer engeren Kreisen und hinderten ihn am Schlafen. Aber es schien unmöglich, einfach nicht daran zu denken.
Mit ganz bewusster Anstrengung konzentrierte er sich auf Robbie Bishops Tod. Von seinen Erinnerungen an Robbies glänzende Leistungen und seinen Ruhm wechselte er zu den Fragen über, die mehr mit seinem eigenen Fachwissen zu tun hatten.
»Du bist kein Neuling«, stellte Tony mit leiser, aber deutlicher Stimme fest.
»Selbst mit dem Glück des Anfängers hättest du das nie geschafft, wäre dies dein erstes Unternehmen gewesen. Nicht bei so einer Berühmtheit wie Robbie. Ob du persönliche Gründe hattest oder ob dich jemand bezahlt hat, auf jeden Fall hast du so etwas vorher schon einmal getan.«
Er rollte den Kopf auf dem Kissen hin und her, um seinen verkrampften Nacken zu lockern. »Nennen wir dich Stalky. Das passt so gut wie jeder andere Name, und du weißt ja, dass ich es immer gern ein bisschen persönlich habe. Die Frage ist, warst du wirklich der alte Schulfreund, Stalky? Vielleicht war das nur ein Vorwand. Vielleicht war Robbie zu höflich, um dir zu sagen, dass er sich nicht an dich erinnerte. Oder vielleicht war ihm die Tatsache bewusst, dass man ihn wegen seiner Bekanntheit besser in Erinnerung behielt als die anderen Kinder, die mit ihm zur Schule gegangen waren. Vielleicht wollte er nicht arrogant wirken, indem er so tat, als hätte er dich noch nie gesehen. Aber obwohl Robbie als netter Kerl bekannt war, wärst du damit doch ein verdammt großes Risiko eingegangen.
Aber wenn du tatsächlich ein alter Schulkamerad bist, dann bist du ein noch größeres Risiko eingegangen. Schließlich sind wir hier in Bradfield. Es ist gut möglich, dass manche von den Leuten, die an dem Abend im Amatis waren, auch die Harriestown High School besucht haben. Sie hätten Robbie bestimmt erkannt. Aber sie hätten auch dich erkennen können, es sei denn, du hättest dich seit der Schulzeit sehr verändert. Eine riskante Strategie.«
Er fand die Fernbedienung fürs Bett, stellte den Kopfteil hoch, bis er saß, und zuckte zusammen, als seine Gelenke sich bewegten. Dann zog er das Betttischchen heran, öffnete den Laptop und schaltete ihn an. »Du hast jedenfalls viel riskiert. Und warst dabei durchaus selbstbewusst. Du hast dich Robbie genähert, und niemand hat dich bemerkt. Das hast du zweifellos früher schon einmal gemacht. Lass uns also deine früheren Opfer finden, Stalky.«
Als Tony seine Suche begann, änderte sich das Licht auf dem Bildschirm in Farbe und Helligkeit und fiel auf sein Gesicht, wo es eine Bewegung vortäuschte, die es gar nicht gab. »Na, komm schon«, murmelte er. »Zeig dich. Du weißt doch, dass du das möchtest.«
Carol zog die Jalousien hoch, die sie vom Rest des Teams trennten. Sie hatte für neun Uhr eine Besprechung angesetzt, aber alle waren schon da, obwohl es erst zehn nach acht war. Selbst Sam, der sie erst um fünf vor vier abgesetzt hatte. Sie fragte sich, ob sein Schlaf wohl erfrischender gewesen war als ihrer. Sie hatte mitbekommen, dass er sie im Auge behalten und gewartet hatte, bis sie sicher in ihrer Souterrainwohnung angekommen war, die sie von Tony gemietet hatte. Dann war sie mit dem Beobachten und Abwarten an der Reihe gewesen. Während Carol Nelson fütterte, der sich schon beklagte, behielt sie Sam im Auge, bis die Scheinwerfer seines Autos über das Küchenfenster und die Hecke schwenkten, die die
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