Schleichendes Gift
Ermittlungen zu Robbie Bishop laufen?«
Carol ließ das Kästchen wieder aufschnappen. »Wie wär’s mit einem neuen Spiel?«
Tony warf ihr einen mitfühlenden Blick zu. »So schlimm, was?«
Fünf Minuten später, nach Carols gründlicher Zusammenfassung dessen, was passiert war, seit sie sich zuletzt gesehen hatten, musste er ihr zustimmen. Es war wirklich so schlimm. Später, als sie auf Zehenspitzen hinausging, fielen ihm die Augen zu, und die Andeutung eines Lächelns hob seine Mundwinkel. Vielleicht würde er ihr morgen etwas Besseres bieten können als eine schlechte Schachpartie.
Donnerstag
D urch die Folge von Ereignissen, die Paula McIntyre praktisch unter sich begraben hatten, war sie wieder der wohltuenden Wirkung des Nikotins verfallen. Sie hasste den Geruch nach altem Rauch in der Wohnung Er erinnerte sie zu sehr an die Zeit, als Don Merrick in ihrem Gästezimmer übernachtet hatte. Er war ihr Mentor gewesen und hatte ihr viele der Fertigkeiten beigebracht, die sie inzwischen als selbstverständlich betrachtete. Und dann hatte er sich mit ihr angefreundet. An sie hatte er sich gewandt, als seine Ehe in die Brüche ging, und nach seinem Tod hatte sie seine persönlichen Sachen zusammenpacken und bei der Frau abgeben müssen, die ihn so bedrängt hatte, dass er meinte, er müsse sich beweisen. Jetzt fehlte Paula seine Freundschaft sowieso schon genug, auch ohne Gelegenheiten, die sie an ihn erinnerten. Deshalb hatte sie Zeit, Geld und Energie aufgewendet, um hinter ihrem Haus eine teilweise überdachte Terrasse zu bauen, auf die sie sich morgens mit ihrem Kaffee und den Zigaretten hinkauern und versuchen konnte, sich zusammenzureißen, damit sie es in die Dusche und dann ins Büro schaffte. Sie machte sich keine Illusionen über ihr Verhältnis zu ihrer Arbeit. Sie liebte ihren Beruf immer noch so sehr, dass sie ihm das fast vergeben konnte, was ihr durch diese Arbeit zugestoßen war. Und die Gespräche mit Tony Hill hatten sie begreifen lassen, dass eine Heilung ihrer Wunden nur gelingen würde, wenn sie bei der Polizei Bradfield blieb. Manche Leute erholen sich von einem Trauma, indem sie sich so weit wie möglich von ihrer Vergangenheit entfernen. Aber zu diesen gehörte sie nicht.
Sie nahm einen Zug von ihrer Marlboro Red und fand das Gefühl schön, hasste aber das Bedürfnis, rauchen zu müssen. Jeden Morgen machte sie sich Vorwürfe, dass sie wieder damit angefangen hatte. Und jeden Morgen streckte sie die Hand nach der Packung aus, bevor der erste Schluck Kaffee in ihrem Magen angekommen war. Anfangs hatte sie sich gesagt, es sei nur vorübergehend, ein Hilfsmittel. Nach dem ersten gelösten Fall würde sie das hinter sich haben. Aber sie hatte sich sehr geirrt. Fälle waren aufgetaucht und wieder verschwunden, aber die Zigaretten waren geblieben.
Heute war ein typischer, erbarmungsloser Bradfielder Morgen mit einem niedrig hängenden Himmel, nach Verschmutzung riechender Luft und einem feuchten, wirbeligen Wind, der es schaffte, durch die Kleider bis auf die Knochen vorzudringen. Paula fröstelte, rauchte und wollte gerade aufstehen, als das Telefon klingelte. Sie zog es stirnrunzelnd aus der Tasche. Zu dieser Zeit am Morgen würde sich niemand außer jemand vom Dienst getrauen anzurufen. Aber sie erkannte die Nummer nicht. Einen Augenblick erstarrte sie und fluchte laut, dann drückte sie auf eine Taste. »Hallo?«, sagte sie vorsichtig.
»Ist dort DC McIntyre?« Eine dunkle, rauhe Stimme mit nordirischem Akzent.
»Wer ist da?«
»Hier ist Martin Flanagan. Von Bradfield Victoria.«
Den Bruchteil einer Sekunde vor Nennung des Namens hatte sie die Stimme erkannt. »Mr. Flanagan, natürlich. Es tut mir leid. Wir haben keine …«
»Nein, nein, ich wollte Ihnen etwas sagen. Vor lauter Sorgen um Robbie hab ich es einfach völlig vergessen. Bis ich heute Vormittag zur Arbeit kam, und da war’s.«
Paula inhalierte den Rauch und versuchte ruhig zu bleiben. Sie war nicht dadurch zur Königin der Vernehmungsspezialisten geworden, dass sie Ungeduld zeigte. »Vollkommen verständlich«, sagte sie. »Lassen Sie sich Zeit, Martin.«
Ein hörbares Einatmen folgte. »Sorry, ich greife vor. Tut mir leid. Bei den Vics testen wir die Jungs stichprobenartig auf Drogen. Es ist in unserem Interesse, dass sie sauber bleiben. Jedenfalls habe ich total vergessen, dass wir am Freitagvormittag getestet haben. Und natürlich auch Robbie.«
Paula ließ ihre Zigarette fallen und trat sie mit dem Absatz aus.
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