Schleichendes Gift
einen Mann in den Zwanzigern, der einer sehr bizarren Vergiftung zum Opfer fiel.« Tony versuchte sich umzudrehen, damit er Carol direkt anschauen konnte, aber es ging nicht. »Rück mal den Stuhl herum, damit ich dich richtig sehen kann«, drängte er ungeduldig. »Bitte.«
Ein wenig überrascht tat Carol, worum er sie bat. »Also, jetzt kannst du mich sehen. Das ist doch nur eine Vermutung, Tony.«
»Es ist immer so lange eine Vermutung, bis die Beweise erhärtet sind. Vermutungen sind mein Geschäft. Wir nennen es Profile erstellen. Andere sprechen davon, als sei es eine Wissenschaft, aber es sind Vermutungen, die sich auf Erfahrung, Wahrscheinlichkeit und Instinkt stützen. Oft ist es eher eine Kunst denn eine Wissenschaft, wenn wir ehrlich sind. Selbst die Algorithmen, die Profiler mit Hilfe geographischer Daten erstellen, stützen sich auf Wahrscheinlichkeit und nicht auf Gewissheit.«
»Dann nenne mir mal etwas, das schwerer wiegt als die Wahrscheinlichkeit, dass eine ausländische Haushälterin lügt, weil sie aus Versehen ihren Chef umgebracht hat«, lenkte Carol ein. Er begriff, dass sie nur nachgab, weil sie meinte, sein Scharfsinn sei durch Schmerzen, Medikamente und gestörten Schlaf geschwächt.
»Danny Wade stammte nicht aus der Gegend, in der er umgebracht wurde. Er zog vor zwei Jahren nach Dore am Westrand von Sheffield um, weil er es gründlich satt hatte, dort, wo er wohnte, belästigt zu werden. In Bradfield. Der Grund, weshalb er keinen Frieden finden konnte, war ein Lotteriegewinn vor drei Jahren. Ein richtig großer Gewinn. Er bekam über fünf Millionen. Er hatte für Virgin Trains als Zugbegleiter gearbeitet, war nicht verheiratet, und zwei Dinge waren ihm wichtig: Modelleisenbahnen und seine Hunde, zwei Lakeland-Terrier. Er war ein Einzelgänger. Bis er das Geld gewann. Dann kamen sie plötzlich alle aus der Versenkung. Alte Schulfreunde, die meinten, es werde etwas für sie abfallen. Frühere Kollegen, die taten, als schulde er ihnen etwas. Entfernte Verwandte, denen plötzlich eingefallen war, Blut sei doch dicker als Wasser. Und das wurde Danny etwas zu viel.«
»Aber trotzdem hatte er doch zumindest das Geld«, meinte Carol. »Fünf Millionen, damit kann man sich eine Menge Ruhe und Frieden kaufen.«
»Das merkte Danny auch. Er zog um und kaufte sich ein schönes Haus am Rand des Moors. Hohe Mauern, elektrische Tore. Viel Platz, um die Modelleisenbahn aufzubauen. Er erzählte niemandem, wohin er gegangen war, nicht einmal seinen Eltern. Niemand, der ihn stören konnte, außer Jana Jankowicz, nach allem, was man hört, eine sehr nette junge Frau mit einem Verlobten, der als Elektriker auf einer Baustelle in Rotherham arbeitete.«
Carol schüttelte ungläubig den Kopf. »Wo hast du das alles ausgegraben? Das ist doch viel mehr Hintergrundwissen, als in der Lokalzeitung steht.«
Tony schien zufrieden mit sich. »Ich habe mit der Reporterin gesprochen. Bei solchen Geschichten haben sie immer mehr in ihrem Notizbuch, als im Artikel unterzukriegen ist. Sie gab mir Janas Handynummer. Also rief ich sie an. Und nach dem, was die liebe Jana berichtete, war Danny mit seinen Hunden, seiner Eisenbahn und drei Mahlzeiten am Tag lustig und vergnügt. Aber die Sache ist die: Ich hatte schon herausgefunden, dass Danny Schüler der Harriestown High School war. Zwei Klassen über Robbie Bishop. Und obwohl Janas Englisch für eine tiefschürfende und bedeutungsvolle Unterhaltung nicht gut genug war, verstand sie doch so viel, dass sie mir sagen konnte, Danny sei ein paar Abende vor seinem Tod vom Pub nach Hause gekommen und hätte erzählt, er habe jemanden getroffen, mit dem er zur Schule gegangen ist.« Er grinste breit, die Mundwinkel nach oben ziehend. »Was hältst du davon?«
Carol schüttelte den Kopf. »Ich glaube, du bist vollkommen verrückt.«
Er hob frustriert die Arme. »Es gibt Verbindungen, Carol. Mord, ohne selbst dabei zu sein und mit seltsamen giftigen Substanzen. Beide Opfer gingen zur gleichen Schule. Beide waren reich. Und beide trafen einen alten Schulkameraden, bevor sie starben.«
Carol füllte ihren Becher nach und trank einen Schluck Wein. Ihre Körpersprache zeigte ebenso viel Kampfbereitschaft wie ihre Worte. »Komm, Tony. Dannys Tod war doch kein Mord. Soweit ich sehe, glaubt niemand außer dir, dass es etwas anderes als ein tragischer Unfall war. Ich habe nicht viel Ahnung von Giften, aber ich weiß auf jeden Fall, wenn man jemandem im Pub tödliches
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