Schleichendes Gift
hat alles durchdacht und festgelegt, welches Risiko er ungefährdet eingehen kann, wir wissen also, er ist nicht leichtsinnig. Er hat nicht das Bedürfnis, den Schmerz seines Opfers mit anzusehen. Er ist damit zufrieden, dass sich das irgendwo anders abspielt. Wer immer er also in der Schule gewesen sein mag, der Schulhofschläger war er bestimmt nicht. Wissen wir, ob Robbie in der Schule ein Schlägertyp war?«
Carol schüttelte den Kopf. »Anscheinend nicht. Er war ein netter Kerl, nach allem, was man hört. Allerdings müssen wir noch alle auf der ›Best Days‹-Website Registrierten durchgehen, die ihn kannten.«
»Schön. Es geht also nicht um Rache für eine Erniedrigung in der Jugend. Es sei denn, das Racheelement hat etwas mit Erfolg zu tun …« Tony verstummte und runzelte die Stirn. »Darüber muss ich noch weiter nachdenken. Aber wir wissen, er muss sich mit Chemie und Pharmakologie auskennen. Schließlich macht er nicht nur Rizin, er stellt Rizinzäpfchen her. Ich hätte nicht die geringste Ahnung, wie ich das anstellen sollte.«
Carol schaute in die Plastiktüte, die sie mitgebracht hatte, und zog eine Flasche australischen Shiraz mit Schraubverschluss heraus. »Ich würde mit dem Internet anfangen. Da erfahren wir doch heutzutage alles Neue, oder? Darfst du so etwas trinken?«
»Wahrscheinlich nicht, aber lass dich nicht abhalten. Im Bad sind zwei Plastikbecher.«
Als Carol mit zwei gutgefüllten Bechern Rotwein wiederkam, sagte er: »Und apropos Internet …«
»Hm?« Carol probierte den Wein. Sie hatte zwar nach der Obduktion heimlich zwei Gläser getrunken, aber abgesehen davon war das der erste Alkohol des Tages, was an sich schon eine kleine Heldentat war.
»Ich glaube nicht, dass er dies zum ersten Mal getan hat. Für einen Anfänger wirkt er zu sicher.« Er sah die Skepsis auf ihrem Gesicht.
»Du siehst überall Serienmörder, Tony. Welchen möglichen Beweis hast du für diese Behauptung? Abgesehen davon, dass dir die Tatsache nicht passt, dass dieser Killer entweder sehr gut ist oder großes Glück hat.«
»An Glückhaben glaube ich nicht. Wir nennen es Glück, wenn unsere Intuition uns in die richtige Richtung führt. Und Intuition ist ein Produkt der Beobachtung und Erfahrung. Wusstest du, dass wir nach neueren Untersuchungen bessere Entscheidungen treffen, wenn wir unseren Reaktionen aus dem Bauch heraus folgen, statt die Vor- und Nachteile einer Situation abzuwägen?«
Carol grinste. »Ich sehe, du lässt deinem Talent zum Abschweifen wieder freien Lauf. Aber meine Frage hast du nicht beantwortet, Tony. Welchen Beweis hast du für die Behauptung, er hätte das schon einmal gemacht?«
»Wie ich sagte, Carol: das Internet. Die Quelle allen Unsinns und auch von ein bisschen Weisheit. Seit wir uns gestern Abend unterhalten haben, war ich auf der Suche. Und ich fand etwas sehr Interessantes.« Er griff nach seinem Laptop, strich über das Mousepad und drehte ihn so, dass Carol den Bildschirm sehen konnte. Während sie dort den kurzen Artikel aus einer Regionalzeitung überflog, fasste er zusammen: »Danny Wade. Siebenundzwanzig Jahre alt. Er starb vor zwei Wochen in seiner Luxusvilla außerhalb von Sheffield. Wurde mit einem tödlich wirkenden Nachtschattengewächs vergiftet. Belladonna, die schöne Frau. Vermutlich in einem Obstkuchen, den seine polnische Haushälterin gebacken hatte. Mit einem Obstkuchen funktioniert das gut, weißt du, weil Belladonnabeeren sehr süß sind. Und es gibt einen Belladonnabusch auf der Terrasse. Du musst übrigens herausfinden, ob der Busch im Kübel gezogen wurde. Es ist möglich, dass der Mörder ihn mitgebracht hat. Die Haushälterin streitet ab, Obstkuchen gebacken zu haben, obwohl die Reste eines Kuchens mit tödlichen Beeren im Kühlschrank gefunden wurden. Und an dem Abend, als er starb, hatte sie frei. Sie war bei ihrem Freund in Rotherham wie jeden Mittwoch und Samstag. Man hat eine gerichtliche Untersuchung zur Feststellung der Todesursache eingeleitet, aber dann vertagt, weil erst weitere Nachforschungen angestellt werden müssen.«
»Ich begreife nicht, wieso du meinst, dass dies hier«, sie zeigte auf den Bildschirm, »etwas mit Robbie Bishop zu tun hat«, sagte Carol. »Es scheint doch ganz einfach zu sein. Die Haushälterin machte einen Fehler bei den Beeren, und jetzt lügt sie. Ein tragischer Unfall. Das steht doch in dem Artikel.«
»Aber was ist, wenn sie nicht lügt? Wenn sie die Wahrheit sagt, ist es das zweite Beispiel für
Weitere Kostenlose Bücher