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Schleier der Traeume

Schleier der Traeume

Titel: Schleier der Traeume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lynn Viehl
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nun erstmals das Gefühl, nach Hause zurückgekehrt zu sein. Ja, sie konnte sich nicht erinnern, sich je so behaglich und geschützt gefühlt zu haben wie in diesem Moment.
    »Au!« Frischer Schmerz schoss durch ihren pochenden Schenkel und vertrieb im Handumdrehen die beunruhigende Menge romantischen Schwachsinns aus ihrem Kopf. »Scheiße, tat das weh.«
    Er sah kurz auf – wohl zum ersten Mal, seit sie ihm erlaubt hatte, ihre aufgeschürften Knie zu versorgen.
    Hatte er eine missbilligende Miene gezogen? Vermutlich – sie fluchte oft wie ein Müllkutscher. »Verzeihung.«
    »
Pas de problème
. Diese Wunde war wirklich tief.« Er zeigte ihr einen fiesen, blutigen Splitter, warf ihn in den Mülleimer neben ihnen und machte sich wieder an die Arbeit.
    Jacqueminot-Rose
– das war es, was sie hier roch! Und der Duft war ihr so vertraut erschienen, weil die Frau, die ihr das Leben gerettet hatte, diese Rosen in ihrem Garten züchtete. Das mochte erklären, warum sie sich mit Dansant so wohlfühlte; der Duft brachte Erinnerungen an den einzigen Ort zurück, den sie je als Zuhause betrachtet hatte.
    »Wohnen Sie in der Nähe?«, fragte er und befeuchtete eine Mullkompresse mit Wasser aus einer braunen Flasche.
    »Nein, ich lebe« – sie holte durch die Zähne Luft, als er das Blut von ihrem Knie zu tupfen begann –, »nicht in New York«, sagte sie ausatmend. Ein kribbelndes Brennen breitete sich über die Schürfwunde aus, auf der nun rosa Schaum Blasen warf. »Das ist vermutlich kein Wasser«, fuhr sie fort und biss die Zähne zusammen, um nicht wieder einen mit »Scheiße« eingeleiteten Protest vom Stapel zu lassen.«
    »Das ist Desinfektionsmittel und tötet die Bakterien.« Er zeigte ihr das Etikett auf der Flasche. »Der Boden in der Gasse ist sehr verdreckt.«
    »Stimmt.« Und falls er weiterredete, würde sie bald womöglich keinen Schmerz mehr spüren.
    Nicht nur war Engelauge der körperlich attraktivste Mann, dem sie bisher begegnet war; er besaß zudem zweifellos die schönste Stimme, die sie je vernommen hatte: volltönend, tief, dunkel und süß – wie doppelter Espresso mit Likörchen hinterher. Ihm zuzuhören ließ sie dahinschmelzen, sicher auch wegen seines Englischs, das er mit französischem Akzent sprach, der zart aus jedem Wort tönte und ihre Ohren zu liebkosen schien. Sie könnte die Augen schließen und ihm beim Vorlesen der Einkaufsliste lauschen, und vermutlich würde sie spätestens beim zehnten Punkt abgehen wie eine Rakete …
    Etwas war hier grundverkehrt. Vor kaum zwanzig Minuten wäre sie fast einem Volvo zum Opfer gefallen und in Kontakt mit der Polizei geraten. Und hatte sie deshalb Angst? Ermahnte sie sich, ihrem Prinzip der Unabhängigkeit treu zu bleiben? Überlegte sie womöglich bereits, wo sie heute Nacht schlafen sollte?
    Nein. Sie malte sich aus, den umwerfenden Barmherzigen Samariter zu vögeln.
    Großer Gott
. Sie musste hier unbedingt raus.
    »He, äh, das ist echt nicht nötig. Kommt sicher wieder in Ordnung.« Als er darauf nicht reagierte, versuchte sie es anders. »Es ist ziemlich spät. Wartet zu Hause denn niemand auf Sie?«
    »Mein Partner schläft bis zum Morgengrauen.« Er wandte sich ab und suchte etwas im Verbandskasten. »Warum sind Sie so spät unterwegs, Rowan? Besuchen Sie jemanden?«
    »Ja«, log sie ungeniert und stemmte sich von der Kiste. »Danke, dass Sie mir geholfen haben. Wenn Sie mir Ihre Adresse geben, schicke ich Ihnen das Geld, sobald –«
    »Das geht nicht.« Er umfasste ihre Hüften. »Sie dürfen nicht gehen.«
    Das ging ihr entschieden zu weit. Sie nahm seine Hände, um ihn wegzuschieben. Dabei verlagerte sie ihr Gewicht, und ein neuer Schmerzstich ging vom Knie aus und zwang sie, sich stattdessen an ihm festzuhalten.
    »Nicht bewegen«, raunte er.
    Es war wirklich erstaunlich: Diese zwei Worte reichten, um den Schmerz zu verjagen und das Gefühl von Sicherheit und Behagen zurückzubringen, das sie bei der Versorgung ihrer Wunden durch ihn empfunden hatte. Verwirrend. Und auch verletzend. Und prompt wurde sie zornig. Aber ihn wegschubsen zu wollen, ergab plötzlich auch keinen Sinn mehr; er wollte ihr schließlich nicht an den Hintern fassen oder so. Warum verhielt sie sich so zickig? »Schon gut. Mir geht’s prima.«
    »Ihr Motorrad«, erinnerte er sie, stand auf und schob seine Finger so selbstverständlich zwischen ihre, als wären sie ein Paar. »Das muss doch repariert werden, oder?«
    »Und zwar ganz schön.« Sie dachte an ihre

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