Schleier der Traeume
annehmen würde, bräuchte ich noch eine Unterkunft.« Seine ausdruckslose Miene ließ sie hinzusetzen: »Wir sind in Manhattan. Ich bin pleite, und vom Mindestlohn kann ich in dieser Gegend nicht mal einen Wandschrank mieten.«
»Natürlich.« Seine Miene hellte sich auf. »Sie wohnen hier.«
Sie lachte unwillkürlich auf. »Ach, der Boden wirkt zwar sehr gemütlich, aber Keramikfliesen sind vermutlich doch schlecht für meinen Rücken. Oder soll ich einen Ihrer Lagerräume bewohnen?« Er starrte sie erneut an, und sie fasste sich an die Nase. »Ist was mit meinem Gesicht?«
»Ja. Nein.« Dansant schüttelte kaum merklich den Kopf. »Tut mir leid. Ich meinte nicht, Sie sollen im Restaurant wohnen.« Er wies zur Decke. »Oben sind zwei Wohnungen. Eine davon ist frei.«
Vielleicht hatte er keine Vorstellung davon, was es hieß, pleite zu sein? »Und wie viel Miete geht an den Hausbesitzer?«
»Nichts.«
Sie zückte die Brauen. »Wohnen ist teuer, Meister.«
»Nicht, wenn die Wohnung mir gehört.« Er lächelte kurz. »Meinem Partner und mir gehört das ganze Haus.«
»Nett.« Sie blickte kurz zur Decke hoch, um nicht seine Zähne anzuschmachten, die natürlich strahlend weiß und so vollkommen waren wie alles an ihm. »Sie wollen mich umsonst in der Wohnung leben lassen, obwohl Sie sie teuer vermieten könnten?« Die Art, wie er sie immer wieder berührte, mochte bedeuten, dass er die Sache anders zu handhaben plante. »Wollen Sie einen Tauschhandel machen?«
Er starrte sie an: »Worin würde der Tauschhandel bestehen?«
»Sie wissen schon.« Sie musterte ihn von oben bis unten, ließ den Blick auf der Khakihose verweilen, die seine strammen Schenkel und schmalen Hüften perfekt zur Geltung brachte, und sah ihm schließlich wieder in die Augen. »Sie geben mir eine Wohnung; ich gebe Ihnen dafür, was Sie wollen – so ein Tauschhandel.«
»Und was glauben Sie, Rowan, was ich von Ihnen will?« Er klang nicht beleidigt oder ärgerlich, doch in seinen Augen stand nun so etwas wie Mitleid.
Sie hatte ihr Geld jahrelang in Kneipen mit Poolbillard verdient und dabei die ständige Anmache bierseliger Romeos ertragen. Sie kannte jede Aufreißmasche. Und sie machte sich keine Illusionen über ihr Aussehen. Wenn einer mit ihr in die Kiste wollte, war er entweder dicht oder notgeil.
Aber Dansant war nicht betrunken, und sie hätte Leib und Leben darauf verwettet, dass er auch nicht notgeil war. Trotz seines umwerfenden Aussehens war er freundlich und liebenswürdig und hatte sich um sie gekümmert wie um ein streunendes Kätzchen aus der Gosse. Nichts deutete darauf hin, dass er von ihr erwartete, die Miete mit Liebesdiensten zu bezahlen. Erneut betrachtete sie seine Hände und bemerkte, wie makellos und wohlgeformt sie waren. Sein betörender Duft nach Jacqueminot-Rosen beseligte sie, als stünde sie in einem unsichtbaren Garten, in dem sie glücklich bis ans Ende ihrer Tage lustwandeln könnte.
Er musste diesen Duft wirklich in der Damenabteilung erstanden haben.
Wartet zu Hause denn niemand auf Sie?
Wie wunderschön und sauber und tadellos gepflegt Dansant bis zu den manikürten Fingernägeln war!
Mein Partner schläft bis zum Morgengrauen
.
Ach du Schreck
. Plötzlich ergab alles einen Sinn.
Der Kerl ist schwul
.
»Nichts. Ich habe mich geirrt.« Sie zog den Kopf ein. »Tut mir leid.« Und wirklich bemitleidete sie sich und alle ihre Geschlechtsgenossinnen, die bei diesem Mann niemals eine Chance hätten. »Und Sie meinen es wirklich ernst?« Sie blickte kurz auf und war noch immer etwas untröstlich. »Das mit dem Job und der Wohnung?«
»
Mais oui!
«
Er hatte gesagt, nur ein Apartment sei frei. »Leben Sie in der anderen Wohnung?«
Er schüttelte den Kopf. »Dort lebt ein Mechaniker. Der dürfte wissen, wie man Ihr Motorrad repariert.«
Eine Arbeit, eine Wohnung und ein Nachbar, der ihr Bike richten konnte – das war sehr viel mehr als das, was sie in Boston erwartete.
»Tja, vielleicht sind Sie verrückt, Dansant, aber ich nicht. Gut.« Sie grinste ihn an. »Sie haben einen neuen Mieter und
tournant
.«
Das Labor für Spezialanalysen am Sitz der GenHance GmbH in Atlanta hatte seit seiner Errichtung viele Namen bekommen. Bei der Verwaltung hieß es »Reinraum«. Die paar Techniker, die es für begrenzte Zeit unter Aufsicht betreten durften, nannten es untereinander »Dampfkochtopf«.
Bei den Raumpflegern, die dort keinen Zutritt hatten, hieß es »Area 51« – nach dem militärischen Sperrgebiet in
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