Schleier der Traeume
aufgelegt, ohne was zu sagen. Das war vor ein paar Stunden.« Rita klang enttäuscht. »Vielleicht war es Rowan.« Sie holte tief Luft. »Aber sie weiß doch wohl nicht, dass Sie sich mit dieser Taire treffen, oder?«
»Keine Ahnung.« Er bog in die Gasse hinterm Restaurant. »Ich muss los, Rita. Für heute keine Anrufe mehr.«
»Und wenn sich Mr Dansant noch mal meldet?«
Er ächzte. »Dann richten Sie ihm aus, er soll sich verpissen.«
Rita kicherte. »Sean, wenn ich das täte, könnte ich sofort gefeuert werden.«
»Gut. Dann sagen Sie ihm, Rowan ist jetzt meine Sache.« Eine junge Frau wartete an der Hintertür des Lokals. »Auf bald, Rita.« Er stieg aus und bemerkte beim Näherkommen, dass sie Rowans Beschreibung der Obdachlosen entsprach. »Sind Sie Taire?«
Sie nickte. »Und Sie sind der Mann, der da oben wohnt?«
»Ja. Woher haben Sie meine Nummer?«
»Ein Mädchen hat mir die hier gegeben.« Sie zog seine Visitenkarte hervor. »Sie sagte, Sie suchen Alana King.«
»Und Sie wissen, wo sie ist?«
»Nein, aber das Mädchen, das hier arbeitet, Rowan, weiß es«, erwiderte Taire. »Sie war eine Zeit lang in Ihrer Wohnung und ist dann weg.« Sie schaute zu den Fenstern hoch. »Ich hab sie dort oben gesehen.«
Sean war versucht, hinaufzurennen, doch er musste Rowan finden und in Sicherheit bringen. »In welche Richtung ist sie verschwunden?«
Das Mädchen zuckte mit den Achseln. »Vermutlich ist sie zum Fluss gegangen.«
»Wohin genau?«
»Weiß nicht, aber da geht sie öfter hin. Ich bin ihr ein paarmal gefolgt.« Erwartungsvoll sah Taire zu seinem Wagen. »Wenn Sie fahren, kann ich Ihnen den Ort zeigen.«
»Gut.« Er ging zum Auto und öffnete die Beifahrertür. »Steigen Sie ein.«
Auf der Fahrt zum Fluss warf Sean dem Mädchen einen raschen Blick zu. Sie hatte die Sonnenblende runtergeklappt, bürstete sich mit Blick in den Spiegel die verfilzten Locken und schob ihre Stirnfransen zurecht. »Und Sie sind sicher, dass Rowan zum Fluss runter ist?«
Taire nickte, tastete in ihrer Tasche herum und zog einen Lippenstift heraus. »Sie trifft sich wahrscheinlich mit Alana. Die beiden sind nämlich befreundet.«
»Ach ja?« Sean kannte den Lippenstift. Rowan hatte ihn in ihrem gemeinsamen Bad liegen gelassen. Auch die Bürste gehörte ihr. »Wie hat Rowan sich denn mit jemandem wie Alana King angefreundet?«
»Sie hat früher in ihrem Haus gewohnt.« Taire schenkte ihrem Spiegelbild noch einen Schmollmund und sah Sean dann lächelnd an. »Finden Sie den zu rot für mich?«
»Sie wirken damit sehr erwachsen.« Sean dachte daran, wie er Alana Kings kindliches Gesicht hatte altern lassen. Taire hatte eine gewisse Ähnlichkeit mit jenem Teenagerbild, doch ihre Züge hatten etwas Seltsames. Ihre Nase war etwas zu klein, und auch die Augen waren ein wenig anders geformt. »Kennen Sie Alana King?«
»Nein, aber ich habe Fotos von ihr gesehen.« Sie strich ihre Locken zurück und ließ eine lange, unauffällige Narbe sehen, die am Unterkiefer verlief. »Sie war die schönste Frau der Welt.«
Er bemerkte die dunklen Haarwurzeln, die Taire mit dem Zurechtrücken ihrer blonden Frisur hatte kaschieren wollen. »Wirklich?«
Taire nickte. »Sie war perfekt. Ich meine: Sie ist es.«
»Wer hat Ihnen die Fotos gezeigt?«, fragte er vorsichtig.
Seufzend steckte sie den Lippenstift ein. »Mein Vater. Wenn ich groß bin, sollte ich aussehen wie sie. Darum haben sie meine Haare blond gefärbt und diese Operationen gemacht. Mein Gesicht und mein Körper waren nicht gut genug.« Sie wandte sich ihm zu. »Rowan dagegen braucht keine Operationen – sie kann sich jederzeit in Alana verwandeln.«
Das Mädchen war offenbar ziemlich durchgeknallt, und Sean überlegte fieberhaft, was er tun sollte. »Taire, vielleicht sollte ich Sie zurück zum Restaurant fahren. Sie könnten dort warten, während ich Rowan suche.«
»Sie liebt Sie.« Taire klang verzweifelt. »Und darum brauche ich Sie. Damit Sie sie dazu bringen, es für meinen Vater zu tun.«
Sean spürte, wie ihn etwas in den Fahrersitz drückte, eine unsichtbare Kraft, die ihn an Ort und Stelle hielt und die Kontrolle über Lenkrad und Gaspedal übernahm. »Was tun Sie da?«, fragte er und versuchte sich zu befreien.
Sie wandte sich der Windschutzscheibe zu. »Ich fahre nach Hause.«
19
Rowan hörte das Schwenken der Überwachungskamera, als sie sich der Seitentür näherte. Beim Warten sah sie drei weitere Apparate über Straße, Fluss und Verkehr streichen.
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