Schleier der Traeume
nahm einige Sachen heraus. Sicher hatte Dansant ihm eine Nachricht am Schwarzen Brett in der Küche hinterlassen – das tat der Drecksack immer, wenn er in seine Wohnung kam –, doch als Meriden nachsehen ging, hing dort kein Zettel.
Dafür waren jede Menge Glasscherben und Rotweinflecken auf dem Boden.
»Anscheinend war gestern Abend Party.« Er hatte keine Zeit, sich darüber Gedanken zu machen, was Dansant verärgert hatte; er musste Alana King aufspüren. Wenn er sie bis zum Nachmittag nicht gefunden hatte, würde er die Suche beenden und stattdessen Rowan aus der Schusslinie bringen. Zwar wusste er noch nicht, wie er sie rausschmuggeln sollte, ohne dass Kings Überwachungsmannschaft davon Wind bekam, aber auch wenn er sie in einen Müllsack stecken oder in einen Teppich rollen müsste: Er würde sie aus der Stadt bekommen.
Sean verbrachte den Tag damit, alle Augenzeugen zu besuchen, die Alana gesehen hatten, doch keinem war etwas Neues zu ihr eingefallen. Seine Prüfung der umliegenden Gegend erbrachte auch nichts. Er verbrachte Stunden damit, das durch die Simulation veränderte Foto von Alana, das sie nun mit sechzehn zeigte, denen unter die Nase zu halten, die rings um die Kaffeebar arbeiteten, in der sie gesehen worden war, und tatsächlich stieß er bei dieser Gelegenheit endlich auf eine heiße Spur.
»Ja, das Mädchen kenne ich«, sagte der Besitzer eines kleinen Elektronikladens. »Tagsüber ist sie kaum draußen, aber im Dunkeln sehe ich sie oft. Sie ist sehr scheu und lebt in dem Hotel mit den verrammelten Türen und Fenstern, Sie wissen schon – der Kasten, über den sich die Erben vor Gericht streiten. Habgierige Mistkerle.«
Sean war nicht überzeugt. »Wenn sie so scheu ist, wie konnten Sie dann ihr Gesicht erkennen?«
Der Ladenbesitzer setzte sich lächelnd eine kompliziert aussehende Brille auf. »Das ist ein Nachtsichtgerät. Ich benutze es bei Aufnahmen im Dunkeln, um in düsteren Ecken nicht in heikle Situationen zu kommen.«
Meriden fragte sich, welche Fotos der Mann wohl schoss. »Haben Sie zufällig auch von ihr Aufnahmen gemacht?«
Der Mann schüttelte den Kopf. »Ich stelle meine Bilder online, und bei Porträts braucht man dafür das schriftliche Einverständnis der Fotografierten.« Er zwinkerte Meriden zu. »Es sei denn, man verpixelt das Gesicht.«
Sean wäre gern zum Hotel gegangen, um nachzuschauen, ob die Behauptung des Mannes stimmte, aber es wurde schon dunkel. Also fuhr er zum Restaurant und rief auf dem Weg seinen Telefonauftragsdienst an.
»Hallo, Sean«, grüßte Rita ihn fröhlich. »Wie geht’s? Heute Abend haben Sie wirklich tolle Nachrichten bekommen. Wir sprechen alle darüber.«
»So gut sind sie, ja?« Er bremste an einer roten Ampel. »Na, dann lesen Sie sie mir mal vor.«
»Erst hat Mr Dansant angerufen. Seine Nachricht ist ein Knüller. Er hat mich alles aufschreiben lassen, Wort für Wort. Er klang echt verärgert.«
Sean grinste. »Und was hat er gesagt?«
»Die Nachricht lautet: ›Ich weiß, dass Sie mit Rowan geschlafen haben, und jetzt glaubt sie, sie ist in Sie verliebt. Wenn Sie einverstanden sind, erzähle ich ihr heute Abend alles, Miami.‹ Nein, warten Sie, das hat Diane falsch geschrieben. Es heißt ›
mon ami
‹.« Rita seufzte. »Ich weiß, ich darf das nicht fragen, Sean, aber sind Sie verliebt oder ist das bloß eine Affäre?«
Ohne nachzudenken, antwortete er: »Ich bin verliebt.«
»Mann, das ist so romantisch.« Rita klang, als käme es ihr gleich. »Sie sind der beste Kerl der Stadt, das schwöre ich. Ist sie großartig? Kaufen Sie ihr einen Ring? Können wir sie kennenlernen? Apropos – wann lernen wir Sie mal kennen?«
»Verschieben wir die Hochzeitsplanungen doch, bis ich meine übrigen Nachrichten bekommen habe«, sagte er trocken. »Was liegt noch an?«
»Die Nächste hat sich als Taire vorgestellt.« Ritas Stimme klang nun etwas strenger. Sie buchstabierte ihm den Namen. »Man spricht es aus wie eine Kurzform von Teresa oder so. Jedenfalls möchte sie Sie im Restaurant treffen. Sie sagt, sie weiß, wo das Mädchen ist, nach dem Sie suchen. Ich hoffe, Sie halten sich nicht nebenher eine Geliebte, Sean. Das wäre nämlich keine gute Idee, wenn die Sache mit Rowan klappen soll.«
»Das ist rein geschäftlich.« Allerdings konnte er sich nicht erinnern, seit Übernahme des Falls Alana King mit jemandem namens Taire gesprochen zu haben. »Sonst noch was?«
»Jemand hat von Ihrem Festnetztelefon angerufen, aber
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