Schleier der Traeume
weigerte, sein Schneckengericht zu probieren, sondern warf ihr Häppchen lächelnd dem dankbaren Enrique zu. »Ihr Amerikaner traut euch nicht, Schnecken zu probieren, steht aber stundenlang Schlange, um rohen Fisch zu essen.«
»Sushi kriecht nicht«, erwiderte Rowan. »Es schwimmt.«
Dansant begleitete sie in den Weinkeller, als sie den Chablis für eine Sauce holen sollte, die er neu komponierte. Als sie einwandte, eine Flasche Wein könne sie auch allein finden, widersprach er. »Für euch Amerikaner ist ein Chablis etwas, das man im Supermarkt für ein paar Dollar in der Großflasche kauft, stimmt’s?«
»Stimmt«, gab sie zu. »Aber ich schätze, Ihr Chablis ist keine Pennerbombe mit Schraubverschluss.«
»
Mais non
.« Er führte sie die Kellertreppe hinunter, schaltete das Deckenlicht ein und ging mit ihr zu einem Regal voller verstaubter Flaschen. »Das ist unser Chablis.« Er wählte eine Flasche und wischte den Staub behutsam mit einem Tuch weg. »Da vorn stehen Gläser zum probieren.« Er wies mit dem Kopf auf eine Reihe kleiner, auf dem Kopf stehender Kelche. »Nehmen Sie eins.«
»Ich trinke nicht.«
»Sie sollen nur probieren, nicht trinken.« Als sie das Glas nahm, fuhr er fort: »Französischer Chablis besteht aus Chardonnay-Trauben und wird nur in einer Stadt hergestellt, im burgundischen Chablis.«
Er nahm den Korkenzieher vom Nagel am Regal, öffnete vorsichtig die Flasche und schenkte ihr einen Schluck ein.
»Früher haben die Winzer ihren Chablis in besonderen Eichenfässern fermentieren und reifen lassen. Inzwischen bedienen die meisten sich moderner Methoden und verwenden Tanks aus Edelstahl.« Er hielt ihr das Glas an die Nase. »Schließen Sie die Augen. Was riechen Sie?«
»Wein.« Sie lachte leise und schnupperte dann. »Oh, Trauben. Alkohol. Und … Vanille.«
»Das liegt an den Eichenfässern. In modernen Weingütern heißt es, Stahlfässer sorgen für den reineren Wein, aber bei denen kaufe ich nicht. Der Chablis ist von Natur aus trocken und säurehaltig, und die Reifung in Eichenfässern wirkt dem ein wenig entgegen.« Er drückte ihr den Glasrand an die Unterlippe. »Jetzt probieren Sie.«
Rowan nippte, doch statt des vom Geruch zu erwartenden süßen Vanillearomas füllte der Wein ihren Gaumen mit kühlem, fruchtigem Geschmack, als hätte sie in einen grünen Apfel gebissen.
»Amerikanische Winzer panschen billige Weine, die kaum einen Monat gereift sind, und nennen das Ergebnis Chablis«, sagte Dansant. »Der beste französische Chablis wird erst verkauft, wenn er mindestens zwanzig Jahre alt ist.«
Sie schluckte den Wein und öffnete die Augen. »Mist – hätte ich den wieder ins Glas spucken sollen?«
Er grinste jungenhaft. »Ich verrate es niemandem, wenn Sie es auch nicht verraten.«
Dansant war so fordernd wie charmant. Er ließ jede Lieferung zurückgehen, die seinen Ansprüchen nicht genügte, Ansprüchen, die offenbar weit höher waren als die anderer Küchenchefs der Stadt. Darum bekam Lonzo oft zornige Anrufe von den Lieferanten. Dansant erwartete auch, dass die Küche stets blitzsauber war, und sobald nach dem letzten Essen des Abends aufgeräumt war, prüfte er persönlich Ausrüstung und Arbeitsplätze. Falls er etwas fand, das ihm missfiel, rief er nicht Enrique zum Nachputzen, sondern den für die Station verantwortlichen Koch, dem er dabei auf die Finger sah.
Im Gegenzug erwiesen die Köche ihrem Küchenchef die Art von Hochachtung und Respekt, die gewöhnlich erfolgreichen Profisportlern vorbehalten war. Rowan hatte schon mehrmals den einen oder anderen Koch ertappt, wie er Dansant beim Arbeiten zusah und sich dann mit ungläubigem Kopfschütteln abwandte. Vor allem Enrique betete den Küchenchef an, und obwohl er als Tellerwäscher meist in seiner Ecke blieb, beobachtete er ihn wie ein Habicht. Der Chef musste nie nach einem sauberen Topf oder Küchengerät rufen, denn der Tellerwäscher schien all seine Bedürfnisse vorauszuahnen und brachte das Benötigte, sobald Dansant die Zutaten beisammen hatte.
Rowan hatte sich damit abgefunden, ihren attraktiven, bezaubernden Chef nur im Stillen zu begehren. Es war nicht seine Schuld, dass er dazu bestimmt war, einen anderen Mann glücklich zu machen, obwohl sie sich mitunter fragte, ob sein Partner dieses Glück wirklich zu schätzen wusste. Um wen es sich da auch handeln mochte: Dansants Freund tauchte nie im Restaurant auf, nicht mal, um ihn nach der Arbeit abzuholen. Rowan wusste, dass es
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