Schleier der Traeume
unverschämt teuer war, in der Stadt ein Auto zu besitzen, und das Taxi, mit dem Dansant sich nachts nach Hause bringen ließ, war vermutlich viel billiger, aber es erschien ihr nicht richtig, dass dieser Freund sich nie die Mühe machte, vorbeizuschauen. Sehr zu Rowans Ärger ließ keiner der Köche je etwas über Dansants Privatleben durchblicken.
Würde ihr Chef ihrem Nachbarn doch ein paar Stunden darin erteilen, wie man mit Menschen auskommt! Seit ihrem Einzug hatte sie Meriden mehrmals gesehen, meist auf der Treppe. Sie sagte immer Hallo, doch entweder ignorierte er sie oder er brummte etwas Unverständliches. Wahrscheinlich litt er an schlimmer Schlaflosigkeit, denn er kehrte gewöhnlich erst kurz vor ihrem Schichtende heim und brach schon früh am Morgen zur Arbeit auf, während sie noch schlief. Einmal war sie im Morgengrauen auf die Toilette gegangen und Meriden auf dem Treppenabsatz begegnet, als er das Haus verließ.
Nach ihrer zweiten Arbeitswoche im
D’Anges
schob Rowan ihm eine Nachricht unter der Wohnungstür durch und bat ihn, doch bei ihr vorbeizusehen und ihr zu sagen, wie weit er mit ihrem Motorrad war. Weil er nicht reagierte, klopfte sie bei ihm, als er zu Hause war, aber er kam nicht an die Tür. Was blieb ihr also übrig, als das Bad zu überwachen?
Um Dansant nicht mit Meriden zu behelligen, fragte sie eines Abends Lonzo, ob er wisse, wo ihr Nachbar arbeite.
»Er hat eine Werkstatt, ein paar Querstraßen weiter. Repariert er dein Motorrad?« Als sie nickte, winkte er sie ins Büro, blätterte die Adresskartei unter »M« durch und schrieb ihr eine Adresse auf. »Hier sind Straße und Telefonnummer. Ich würde ihm einen Besuch abstatten, um zu sehen, wie er mit der Arbeit vorankommt.«
»Danke.« Sie faltete den Zettel und schob ihn in ihre Tasche. »Ich schätze, das werde ich tun.«
9
Über der offenen Flügeltür von Meridens Werkstatt hing kein Schild, und nur eine rostige Metalltür mit einem kleinen Fenster aus Drahtglas führte in einen Raum, der wohl das Büro war. Da Rowan aus der Werkstatt keine Arbeitsgeräusche dringen hörte, vermutete sie, dass Meriden im Büro war, beschloss aber, sich vorerst etwas umzusehen. Es konnte nicht schaden, sich anzuschauen, wie er sich eingerichtet hatte, da sie ihm immerhin die Reparatur ihres Bikes anvertraut hatte.
Die Werkstatt war überraschend geräumig, und an den Wänden hing Werkzeug vom Boden bis zur Decke. Der Estrich war im gleichen Grau gestrichen wie die Tür zum Büro und hatte die üblichen dunklen, pfützenähnlichen Flecken, die von Öl- oder Benzinlecks stammten, schien aber regelmäßig gefegt und gewischt zu werden.
Das Werkzeug an den Wänden war nach Gattung und Größe geordnet. Auf einer Werkbank lag ein zerlegter Wechselstrom-Kompressor. Es roch nach Öl, Fett, Lösungsmittel und dem stechenden Zitrusaroma eines wasserlosen Händereinigers.
Ihr Motorrad stand zwischen den beiden Hebebühnen der Werkstatt. Auf der einen befand sich ein granatroter Kleinwagen ohne Radkappen, auf der anderen ein dunkelblauer Pick-up, der eine neue Lackierung brauchte.
»Was wollen Sie?«, fragte Meriden mit dröhnendem Bariton.
Rowan fuhr herum und wäre beinahe mit dem Gesicht gegen seine Brust gestoßen. »Mist.« Sie trat einen Schritt zurück. »Ach, hallo. Ich dachte, ich schau mal vorbei, um zu sehen, wie es so geht.«
»Es geht.« Meriden wischte seine schmutzigen Hände an einem ebenso schmutzigen roten Lumpen ab und schob ihn in die Gesäßtasche seiner Jeans. Sein Arbeitshemd war aufgeknöpft, das weiße Unterhemd voller Schmierfettkleckse. »Haben Sie keine überteuerten Möhren zu schälen?«
»Heute ist mein freier Tag.« Rowan ging um ihn herum zu ihrem Motorrad, kauerte sich hin und inspizierte die Räder, deren Reifen er noch nicht ersetzt hatte. »Wissen Sie schon, was meine Reifen hat platzen lassen?«
»Ja. Blödheit.« Er zog sich wieder in sein Büro zurück.
Rowan lief ihm nicht nach, sondern sah sich an, was er an ihrem Bike schon repariert hatte. So konnte sie sich auch abregen. Dass sie ihm am liebsten mit dem Schlagschrauber eins übergezogen hätte, beunruhigte sie nicht; sie würde einiges darauf wetten, dass Meriden bei jedem solche Wünsche auslöste. Es lag an seinem angespannten Kiefer, als er sie angesehen hatte; am Glitzern seiner niederträchtigen Augen; daran, wie schmal sein Mund geworden war. Er mochte sie so wenig wie sie ihn, doch offenkundig tat sich unter seinem dicken Schädel noch
Weitere Kostenlose Bücher