Schleier der Traeume
Hautfetzen an ihrem Schulterblatt. Bei näherem Hinsehen erwies er sich als kleiner Kreis aus dünnem, fleischfarbenem Latex, der ihr mit Hautkleber auf den Rücken geleimt worden war.
Delaporte ertastete den Rand des Latexpflasters und zog es langsam ab. Darunter befand sich ein schwarzes Oval mit der Profilskizze eines sehr vertrauten Gesichts.
Er zog sein Handy und tippte eine Nummer, die er nur selten wählte. »Mylord«, sagte er, als die leise und doch energische Stimme seines Meisters erklang. »Wir haben hier in Atlanta noch ein Problem.«
Mit funkelndem Schwert stand Madame Butterfly – glitzernden Wahnsinn im Blick – über Rowan. »Du Ausgeburt der Hölle! Ich habe gesehen, was du getan hast. Ich hab’s gesehen!« Sie ließ ihr Schwert niederfahren.
Rowan warf sich zur Seite und landete dröhnend auf dem harten Boden. Die Sonne blendete sie, als sie sich stöhnend an den schmerzenden Kopf fasste.
Wieder ein Albtraum, nun sogar einer mit Oper.
Sie packte eine Ecke des Futons, zog sich daran hoch und griff nach der Armbanduhr. Es war acht Uhr morgens oder acht Uhr abends. Höchste Zeit, sich einen Wecker anzuschaffen.
Sie brauchte eine Weile, um wach zu werden, und fragte sich immer wieder, ob sie sich nicht bis zum Lebensende unter der Decke verstecken sollte. Sie trank zwei Tassen Kaffee, eine davon im Bad, wo ihr etwas entgegenschaute, das an die Reste eines blauen Auges erinnerte, nicht an dessen Anfänge. Hoffentlich würde ihre Fähigkeit zu rascher Heilung sie bis zum Arbeitsbeginn einigermaßen wiederherstellen.
Und ab heute bist du Dansants neuer Souschef
, erinnerte sie eine böse, hämische Stimme im Kopf beim Anziehen. Diese Beförderung würde sie sicher zu jedermanns bester Freundin machen …
Auf dem Weg ins Bad und zurück warf sie einen Blick zu Meridens Tür. Ihr fiel ein, dass Sean in ihre Wohnung gekommen war und es ein tränennasses Kuscheln gegeben hatte, aber sonst entsann sie sich an kaum etwas. Nichts deutete darauf hin, dass er während ihres Schlafs in seinen Armen mehr getan hatte, als sie ins Bett zu bringen. Seine Fürsorglichkeit erstaunte sie. Sie hätte nie erwartet, dass er einer war, an dessen Schulter sie sich ausweinen konnte. Dass er sich unaufgefordert Einlass bei ihr verschafft hatte, war eher sein Stil.
Sie hatte mit Sean Meriden noch ein Hühnchen zu rupfen, doch das musste warten, bis sie herausgefunden hatte, wie sie mit Dansant verfahren sollte.
Rowan schüttete Cornflakes und Milch in eine Schüssel und nahm träge eines ihrer neuen Bücher zur Hand, um beim Essen zu lesen, eine Denkschrift aus der Zeit um 1850, verfasst von einem früheren Priester, der einigen Leuten, die sich für Vampire hielten, die Dämonen hatte austreiben sollen, darüber aber seinen Glauben verloren und den Talar drangegeben hatte.
Der Einführung zufolge hatte dieser ehemalige Priester die Denkschrift mit über achtzig verfasst, also Ende des achtzehnten Jahrhunderts Vampire bekämpft. Das respektlose Vorwort des Herausgebers warnte zudem, viele Zeitgenossen hätten das Buch als fantasievoll ausgeschmückten Sachtext aufgefasst.
Rowan merkte, dass sie sich durch Unmengen lateinischer Begriffe hindurcharbeiten musste, und war sich bei der dritten Schüssel Cornflakes sicher, dass der Herausgeber recht hatte. Der ehemalige Priester schwankte zwischen dem Schimpfen über Geheimgesellschaften in der Kirche einerseits und dem Jammern über verfluchte Seelen andererseits, die ihn angreifen und sein Blut trinken wollten, während er sie mit Weihwasser bespritzte und ihnen mit Gebeten entgegentrat.
Sie wollte das Buch schon beiseitelegen, als sie auf eine Liste dessen stieß, was der Autor bei denen entdeckt hatte, die er »die wahrhaft von Gott Verdammten« nannte:
Die in Ewigkeit Verdammten sind von anmutiger Gestalt, die Männer stark und schön, die Frauen zart und reizend. Sie verströmen den kostbaren Duft der Qualgabe Gottes, den der Blumen, doch dabei handelt es sich um eine Finte, die ihre arglosen Opfer ködern und in die Falle locken soll. Sie nehmen nichts anderes zu sich als Wein. Im Himmelslicht legen sie schützend die Hand vor die Augen und werden zornig; in ihren Zufluchtsstätten schlafen sie, ohne zu atmen oder sich zu regen. Sie beherrschen die schwarzen Künste und wenden sie auf ihre Opfer an; dabei hat jedes dieser Wesen seinen eigenen Zauberspruch, um die Sinne zu verwirren und mit wenigen Worten zu versklaven. Nur einige können ihren Einflüsterungen
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