Schleier des Herzens (German Edition)
für Erfrischungen sorgen?«, fuhr Beatriz sie an. »Dann verzieh dich, und komm nicht wieder, ehe du den Tee nicht aus China geholt hast!«
Soraya machte Anstalten, sich niederzuwerfen, überlegte es sich aber im letzten Moment anders.
»Wie könnt Ihr so kalt sein?«, fragte sie verzweifelt.
»Waren wir jemals befreundet?«, erkundigte sich Beatriz. »Ich kenne Euch nur als einen der Wachhunde im Harem Eures Gatten, in den ich als Sklavin kam und den ich als Sklavin wieder verließ. Schulde ich Euch irgendetwas?«
Soraya schüttelte den Kopf. Dann legte sie den Tschador ab und enthüllte ein blasses, eingefallenes Gesicht und von Tränen gerötete Augen hinter einer zarten, grauen Cobija. Diesen letzten Schleier lüftete sie nicht.
»Nein, Ihr schuldet mir nichts. Nicht einmal Höflichkeit. Aber ich bitte Euch trotzdem um Gnade. Ich würde mich auch dem Emir zu Füßen werfen, aber er will mich nicht einmal anhören, und Zarah, seine erste Gemahlin ...Es heißt, sie habe großen Einfluss auf ihn, aber sie hat mich nur verlacht ...«
Wieder traten Tränen in Sorayas immer noch schöne Augen. Beatriz sah sie zum ersten Mal ungeschminkt. Sie wirkte alt und erschöpft, aber ihre frühere Schönheit war doch immer noch zu erkennen. Als Mammar sie zur Frau genommen hatte, musste sie ein hinreißendes Mädchen gewesen sein.
»Also was wollt Ihr?«, fragte Beatriz. »Gefällt es Euch nicht, dass Ihr Euer schönes Haus verlassen und im Harem von Verwandten unterkriechen müsst? Daran kann ich nichts ändern, und wie ich hörte, habt Ihr auch noch großes Glück. Man hätte Euch auch versklaven und außer Landes schicken können. Ihr verdankt es nur der Loyalität Eures Sohnes, dass Ihr frei bleibt. Ob Ihr in Zukunft die Sklavinnen Eures Mannes oder die Frauen Eures Sohnes tyrannisiert, ob die Bäder Eures Harems blau oder grün gekachelt sind – im Wesentlichen verliert Ihr wohl nichts.«
»Oh, doch! Und ob ich etwas verliere, du herzloses Biest!« Soraya fuhr so wütend auf, dass Beatriz zusammenschrak. Auch Soraya selbst war entsetzt über ihren Ausbruch. Sie senkte den Blick und kniete nun wirklich vor dem Mädchen nieder. »Verzeiht mir, bitte verzeiht mir! Wie konnte ich mich so gehen lassen. Jetzt ist alles vorbei ... jetzt wirst du niemals ...«
»Was werde ich niemals?«, fragte Beatriz böse. »Sprich endlich, deine Beleidigungen treffen mich sowieso nicht. Vielleicht bin ich herzlos, aber wenn, dann hat dein Gatte mich dazu gemacht. Dein Gatte und der Emir, der meinen wahren Geliebten tötete und mich versklavte.«
Soraya hielt den Kopf gesenkt.
»Mein Gatte hat große Schuld auf sich geladen. Und es war ungerecht von mir, das alles auf dich zu schieben. Duhast nicht darum gebeten, dass er sich so hoffnungslos in dich verliebte. Er war ja wie von Sinnen ... und ich ... vielleicht haben wir alle Fehler gemacht. Aber er bleibt dennoch mein Gatte. Und das ist es, worum ich bitte, Sayyida: Nehmt mein Leben, nehmt all meine Güter. Schlagt mir auch die Hand ab und schickt uns beide als Bettler auf die Straße. Aber macht, dass mein Gatte am Leben bleibt!«
Beatriz sah eine alte Frau vor sich knien, aber dahinter sah sie auch ein anderes Bild: ein wunderschönes junges Mädchen, das man reich geschmückt, versehen mit den sieben Schleiern der Braut, auf einem kostbaren Maultier durch die Straßen Granadas führte. Die Soraya von damals hatte ihren Mammar noch nie gesehen, aber als man sie ihm zuführte, erkannte sie einen schlanken jungen Mann mit hellem Haar und Augen, in denen sich die Farbe ihrer Schleier widerspiegelte. Das Schicksal hatte ihr einen jungen Mann mit festem Körper und weichen, aber geschickten Händen geschenkt. Keinen Krieger, eher einen Gelehrten, aber das machte ihr nichts. In der ersten Nacht zitierte er ihr die Verse der großen Dichter, und er gewann ihr Herz für immer, egal, was später geschah.
»Aber Ihr liebt ihn ja!«, brach es aus Beatriz heraus. »Ihr könntet niemals so flehentlich bitten, wenn Ihr diesen Mann nicht liebtet. Wie könnt Ihr, Soraya? Wie könnt Ihr Euer Herz so gänzlich einem Mann schenken, der Euch im Harem einsperrt, den Ihr mit hundert weiteren Frauen teilen müsst und der sich im Alter zum Narren macht für ein Mädchen, das halb so alt ist wie Ihr?«
Sorayas Gesicht verzog sich zu einem schwachen Lächeln.
»Ist die Liebe nicht immer eine Fessel?«, fragte sie leise. »Seht Euch an: Noch nach Jahren bindet sie Euch an einenToten und verwehrt Euch
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