Schleier des Herzens (German Edition)
Öffnen ließ ein Windspiel melodisch erklingen.
Susanna schob Beatriz in einen elegant eingerichteten Wohnraum, dann in ein Atrium, das sich zu einem winzigen, privaten Garten öffnete. Die Herrin Soraya saß auf einem brokatgeschmückten Diwan und hatte eine Schriftrolle vor sich entfaltet. Als Susanna und Beatriz eintraten, sah sie auf.
Susanna verbeugte sich ehrerbietig. Beatriz wusste nicht recht, was von ihr erwartet wurde. Schließlich tat sie das, was sie in Kastilien zur Begrüßung einer älteren Hídalga hohen Ranges getan hätte. Sie versank in einen tiefen Knicks.
»Du bist das also.« Soraya sprach Spanisch mit starkem Akzent, schien es aber immerhin gut genug zu beherrschen, um sich verständlich zu machen. Beatriz wagte nun auch, zu ihr aufzusehen. Sie betrachtete eine große, schlanke und sehr gepflegte Frau, in deren üppigem schwarzem Haar sich schon Silberfäden wanden. Während die meisten Mädchen im Harem unverschleiert gingen, bedeckte Soraya ihr gesamtes Gesicht mit einem hauchdünnen Chiffonschleier. Zweifellos um die sicher vorhandenen Fältchen in ihrem Marmorteint zu verdecken. Das gelang ihr hervorragend. Ihr Gesicht wirkte nicht jung, aber zeitlos schön, die Züge einer Aristokratin reinsten Wassers. Soraya hielt sich gerade, ihre Ausstrahlung war majestätisch, die braunen Augen wachsam.
»Nimm den Schleier ab, damit ich dich genauer betrachten kann«, wies sie Beatriz an.
Eingeschüchtert nestelte das Mädchen an der Cobija herum. Noch immer hatte sie die selbstverständlichen Bewegungen nicht verinnerlicht, mit denen die maurischen Frauen den Kopfschmuck blitzschnell lösten und wieder anlegten.
Susanna half ihr schließlich. Leicht errötend stand Beatriz vor der Gattin ihres Herrn.
»Ja, bei Allah, du bist schön«, stellte Soraya fest. »Du wirst meinem Herrn zur Freude seines Alters gereichen.«
Beatriz starrte sie mit unverhohlener Verwirrung an.
»Das ... das macht Euch gar nichts aus?«, fragte sie. »Es stört Euch nicht, wenn Euer Gatte ...«
»Wenn mein Gatte fleischliche Freuden außerhalb meinerGemächer sucht? Nein, mein Kind, ich gönne ihm jede verzauberte Nacht, die du und deinesgleichen ihm schenken könnt.« Soraya nahm einen Schluck Fruchtsaft. Beatriz registrierte, dass sie ihr keine Erfrischung angeboten hatte. Sie wurde hier genauso gemustert wie auf dem Sklavenmarkt. Nur unter gänzlich anderen Vorzeichen.
»Sollte es jedoch über nächtliche Freuden hinausgehen ... Beherrschst du irgendwelche Künste, die einen Mann auch außerhalb des Bettes fesseln?«
Beatriz funkelte sie an. »Ihr sprecht von mir wie von einer Hure! Ich beherrsche keinerlei Künste. In meinem Land werden die Frauen um ihrer selbst willen geliebt.«
Soraya lachte spöttisch, aber äußerst melodisch. »Das wirst du zweifellos; einen Körper wie den deinen dürfte jeder Mann verführerisch finden. Was deinen Geist angeht ... nun, auch mein Mann ist vor den Schwächen seines Geschlechts nicht gefeit.«
»Wollt Ihr mich als dumm hinstellen?«, brauste Beatriz auf. »Ich bin es leid, hier vorgeführt zu werden wie eine Zuchttier! Ich bin Beatriz Aguirre, eine Edelfrau, eine Hídalga! Mag sein, dass ich hübsche Brüste habe, aber das ist nur mein Körper, das bin nicht ich! Mich, Beatriz Aguirre, kennt Ihr gar nicht. Ihr müsst mich auch nicht kennen lernen. Wenn es nach mir gegangen wäre, hätte ich Eure Räume nie betreten ! Und was Euren Mann angeht, den dürft Ihr gern behalten! Mich bringt welkes Fleisch nicht in Wallung, auch wenn sich Reichtum dahinter verbirgt!«
Beatriz warf den Kopf so heftig zurück, dass ihr Haar sich löste und in weichen Kaskaden über ihren Rücken floss. Soraya erkannte ihr wildes, ungezähmtes Wesen, und das Herz wurde ihr schwer. Nein, dies war kein dummes, hübsches Ding, dessen ihr Gatte schnell überdrüssigwerden würde. Mammar würde Wochen damit verbringen, sie zu erobern, und wenn sie erst in Leidenschaft zu ihm entflammt war ...
»Man wird Euch nicht fragen«, seufzte Soraya. »Ebenso wenig wie mich. Wir werden uns arrangieren müssen, Beatriz Aguirre ...«
Das mochte ein Friedensangebot sein, aber Beatriz war jetzt voller Wut.
»Ich werde mich mit nichts und niemandem arrangieren! Dies ist nicht mein Land und nicht mein Haus! Wenn Ihr Euch mit mir arrangieren wollt, so schickt mich zurück nach Kastilien! Oder bemüht Euch ein bisschen mehr um die berühmten ›Künste des Harems‹. Vielleicht beschläft Euer Gatte dann nicht mehr
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