Schleier des Herzens (German Edition)
Kastilien. Eine dient heute offiziell der Königin, die andere ...«, Ayesha lachte anzüglich, »... führt den Haushalt eines Bischofs.«
»Das ist unfassbar!«, erregte sich Beatriz.
»Das ist Politik. Und eine kluge obendrein. Sie sichert uns seit hundert Jahren den Frieden. Stellt sich die Frage, warum die Christen jetzt doch angreifen. Ich schätze mal, dass sich durch den Tod des alten Emirs die Zahlungen verzögert haben. Oder sie wollen mehr.« Ayesha hielt einen rot und orange schimmernden Stoff ins Licht.
»Den lässt du liegen! Das ist meine Farbe!«, bestimmte Katiana. Heute gelüstete es sie offensichtlich nach Streit.
Ayesha überließ ihn ihr bereitwillig. Sie fand die Diskussion über die Tribute ohnehin interessanter.
»Oder der Wesir steckt dahinter«, überlegte sie weiter. »Warum enthüllt er die Sache gerade jetzt vor versammeltem Volk?«
»Na, warum schon?«, warf Blodwen leise ein. »Er will den Emir stürzen. Die Gelegenheit ist günstig, jetzt, wo er im Feld ist.«
»Und du meinst, er habe diesen Krieg gezielt herbeigeführt, indem er die Tribute nicht abschickte, sondern einbehielt? Damit hätte er nicht nur den Emir vom Hals, sondern obendrein eine gefüllte Kriegskasse, um das Volk für sich zu gewinnen! Genial! Aber ehrlich gesagt, ich trau's dem alten Mammar schlichtweg nicht zu.«
Ayesha kannte Mammar nicht nur aus den Erzählungen von Beatriz. Sie hatte schon oft bei Festen und diplomatischen Anlässen aufgespielt, bei denen der Wesir zu Gast war.
»Dann war's vielleicht jemand anderes«, meinte Beatriz.»Aber es ist beängstigend. Können wir den Emir nicht warnen?«
Ayesha grinste. »Du machst dir doch wohl keine Sorgen um ihn?« spottete sie und drapierte einen Goldstoff um ihr nachtschwarzes Haar. Die anderen Mädchen kicherten.
Beatriz errötete leicht.
»Ich meine ja nur ...«, versuchte sie abzuschwächen.
Ayesha legte lachend den Arm um sie.
»Ach, Schäfchen, wir sind nicht die Einzigen, denen an deinem Amir gelegen ist. Mit Sicherheit sind bereits Boten zu ihm unterwegs. Er wird sich um diesen verräterischen Wesir kümmern, um ihn und alle anderen, die dahinter stecken. Aber leicht wird es nicht werden. Ein Zweifrontenkrieg war niemals einfach.«
Beatriz wanderte durch die Gärten zurück in ihre Räume und bedachte das Gespräch mit den Mädchen.
Diese Ayesha! Aber hatte sie womöglich Recht? Machte Beatriz sich wirklich Sorgen um einen Mann, der es wagte, sich ihr ›Herr‹ und ihr ›Besitzer‹ zu nennen? Zum ersten Mal überlegte sie, was ein ernsthafter Krieg und ein Sieg der Kastilier für sie bedeuteten. Den Emir würde man in diesem Fall ins Exil nach Afrika schicken – sofern er die Niederlage überlebte. Und natürlich würde er seine engste Familie mitnehmen dürfen.
Ayesha und die anderen Konkubinen, die Eunuchen und Diener müssten allerdings mit einem erneuten Verkauf rechnen. Sie stellten für die Christen einen nicht unerheblichen Wert dar. Unwahrscheinlich, dass man sie alle dem Emir überließ.
Beatriz selbst, die geraubte und nach wie vor nicht konvertierte Christin, konnte dagegen mit Freilassung rechnen. Man würde sie zu ihrem Vater zurückschicken oder er würde kommen und sie holen. Wollte sie das? Als verfemte,geschändete Frau, ein vaterloses Kind im Arm, nach Hause zurückkehren? Sie sehnte sich mit jeder Faser ihres Herzens nach ihrem alten, freien Leben in Kastilien, aber wenn sie es nüchtern betrachtete, wusste sie, dass es vorbei war. So oder so.
Und Amir? War er wirklich nur noch ihr Entführer? Sie erinnerte sich an sein Lachen, seine Geduld mit ihren Launen und seine unglaublichen Einfalle. Natürlich war es schamlos gewesen, Liebesverse auf ihren Körper zu schreiben ! Aber auch lustvoll – oh und wie lustvoll! Was mochte diesem Mann noch einfallen, wenn sie sich ihm wirklich öffnete, jeden Tag mit ihm das Lager teilte? Sie hatte sich nach Diego gesehnt, nach seinem starken, harten Geschlecht in ihrer Pforte der Lust. Diego war stürmisch gewesen, er hätte diese Pforte eingerannt, und unzweifelhaft hätte sie es genossen. Zumindest die ersten Male. Ob es dann allerdings noch aufregend gewesen wäre? Ob er sie auf Dauer hätte erregen können? Dagegen Amir mit seinem vorsichtigen Anklopfen, der endlosen Suche nach dem Schlüssel, dem sorgsamem Hineintasten, als lägen kostbarste Geheimnisse dahinter verborgen ... Die Entdeckung dieser Schätze versprach endlose Wonnen. Sie konnte sich vorstellen, dass er jeden Tag
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