Schleier des Herzens (German Edition)
er bereit, den Boten zu empfangen.
Der Mann war schmutzig und wirkte gehetzt. Auch er hatte sich nicht die Zeit genommen, sich zu reinigen, bevor er vor seinen Emir trat. Ein weiteres, gefährliches Zeichen.
»Herr, verzeiht meine Hast!« Der Bote warf sich zu Boden.
Amir erkannte den Jungen, einen Fähnrich der Palastwache, Mitglied einer Adelsfamilie, die dem Emir treu ergeben war. Außer bei seiner Einführung in den Heeresdienst hatte er nie vor dem Herrscher gestanden.
»Steh auf, Tarik, und überbringe deine Botschaft«, sagte Amir milde. »Wer schickt dich?«
»Der Hauptmann, Herr, der Hauptmann der Wache. Wir liegen in Kämpfen mit einer bewaffneten Truppe, angeworben von den Abenzeras, unterstützt vom Volk ...«
»Die Abenzeras? Unterstützt vom Volk? Du meinst, ein Bürgerkrieg?«
»Eine Art Aufstand, Herr. Der Hauptmann meint, das Volk wisse nicht, was es tut, aber der Wesir und die Männer der Abenzeras wiegeln es auf. Es geht um irgendwelche Tributzahlungen, ich habe das nicht ganz verstanden. Aber sie wollen Euch absetzen.«
Tarik sprach mit gesenktem Kopf. Er schien sich etwas zu fürchten, offensichtlich hatte er Geschichten von Herrschern gehört, die Überbringer schlechter Nachrichten zu köpfen pflegten.
»Und wer soll meinen Platz einnehmen?«, fragte Amir verblüfft. »Moussa Ahmed von den Zegris? Wohl kaum, wenn die Abenzeras diesen Aufstand finanzieren.«
»Wie es aussieht ... wie es aussieht, der Wesir, Herr. Sie rufen seinen Namen vor den Toren der Alhambra. Und die Lage ist ernst, sagt der Hauptmann. Vielleicht können wir uns noch einen Tag halten, aber mit der schwachen Besetzung ...«
»Allah verfluche sie!«, brach es aus Amir heraus. Der junge Bote fuhr wie geschlagen zusammen. Dabei war der Emir weit entfernt davon, ihm irgendwelche Vorwürfe zu machen, er gab sich eher selbst die Schuld an der unmöglichen Lage. Warum nur hatte er alle starken, erfahrenen Krieger mit auf diesen Feldzug genommen? Alte Männer wie der Hauptmann und halbe Kinder wie dieser Junge waren mit der Verteidigung der Alhambra entschieden überfordert. Verdammt, er hätte wissen sollen, dass es unter der Oberfläche des friedlichen Granadas brodelte!
Aber der Wesir! Auf Mammar ibn Khadiz’ Loyalität hatte er fest vertraut. Hatte er immer vertrauen können. Bis zu der Sache mit Beatriz. Er sah noch das hasserfüllte Gesicht des alten Mannes vor sich, als er die Übergabe der Sklavin von ihm erzwungen hatte.
Beatriz. Sie war in der Alhambra. Und morgen würde dort womöglich Mammar als Herr einziehen! Das Mädchen würde ihm ausgeliefert sein. Amir erfasste ein Schauer, als er daran dachte. Sie verließ sich auf ihn! Und schon wieder konnte er sie nicht beschützen.
Amir bezwang den Drang, das Heer sofort zum Aufbruch zu rufen und noch heute Nacht nach Granada zu ziehen. Aber dann wären den Christen die Tore zum Emirat geöffnet. Wenn Miguel de Aguadulce nicht ganz dumm war, würde er Amir nachsetzen und sein Heer ins Herz Granadas führen. An die Plünderungen und die Forderungen bei den folgenden Friedensverhandlungen durfte er gar nicht denken ...
Nein, es musste anders gehen.
»Ich danke dir, Tarik. Wenn wir wieder in der Alhambra sind, werde ich dich angemessen belohnen für den Dienst, den du mir geleistet hast. Geh nun und erfrische dich, ich sende augenblicklich einen Boten nach Granada und gebe deinem Hauptmann Anweisungen. Ich denke, wir können morgen reiten. – Und du, Ali ...«, Amir wandte sich an seinen Diener, »suchst mir Hammad al Mutah. Er soll auf der Stelle ein weißes Tuch um seine Lanze binden und zu den Kastiliern reiten. Der Emir von Granada wünscht, den Botschafter des Königs, Miguel de Aguadulce, noch heute zu Friedensverhandlungen zu empfangen.«
Amir tauchte in das warme Wasser und aß schnell etwas Obst, während Ali sich mit seiner Botschaft auf den Weg machte. Die Trauben waren süß, aber Amir schmeckten sie bitter. Kein Spiel mit dem spanischen Botschafter. Aus seiner Unterredung mit Miguel de Aguadulce war tödlicher Ernst geworden.
Der Kastilier erschien kaum eine Stunde später. In seinem Gefolge waren zwei Männer als Leibgarde sowie der unvermeidliche Priester, den die Kastilier zu jeder halbwegs wichtigen Unterredung mitschleppten.
Auch Miguel de Aguadulce schien die Verhandlungen kaum abwarten zu können. In seinen feinen Kleidern, einem dunkelroten Wams mit blütenweißer, gestärkter Halskrause, den schwarzen Beinkleidern und roten Strümpfen
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