Schließe deine Augen
beendete das Gespräch.
Merkwürdiges Erlebnis. Ein bisschen verknäult, wie Gurneys Gefühlsleben überhaupt. Er war erleichtert, weil er endlich angerufen hatte. Und um ganz ehrlich zu sein, war er auch erleichtert, dass er nicht seinen Sohn, sondern nur die Mailbox erreicht hatte. Vielleicht musste er jetzt nicht mehr die ganze Zeit daran denken, zumindest eine Zeit lang. Nach zwei weiteren Schlucken Kaffee schaute er auf die Uhr – 8.52 Uhr – und setzte die Fahrt fort.
Bis auf einen blitzenden schwarzen Audi und eine Handvoll nicht ganz so blitzende Fords und Chevys mit offiziellen Kennzeichen war der Parkplatz des Bezirksamts leer, wie üblich an einem Samstagvormittag. Der wuchtige, verrußte Backsteinbau wirkte kalt und verlassen, als wollte er seine unrühmliche Geschichte betonen.
Kline schälte sich aus dem Audi, als sich Gurney gerade auf einen Stellplatz in der Nähe schob. Unmittelbar darauf kam ein Crown Victoria an und parkte hinter dem Audi. Rodriguez stieg aus.
Aus entgegengesetzten Richtungen traten Gurney und Rodriguez auf Kline zu. Sie begrüßten ihn, aber nicht einander. Kline strebte voraus durch eine Seitentür, für die er einen eigenen Schlüssel hatte, dann eine Treppe hinauf. Kein Wort wurde gewechselt, bis sie in seinem Büro auf Ledersesseln um einen Couchtisch saßen. Rodriguez verschränkte die Arme fest vor der Brust. Die dunklen Augen hinter der Stahlgestellbrille blieben ausdruckslos.
»Na schön.« Kline beugte sich vor. »Dann wollen wir mal.« Er bedachte Gurney mit einem durchdringenden Blick, als würde er einen Zeugen der Gegenseite aufs Korn nehmen. »Wir sind hier, weil Sie mir eine Bombe versprochen haben, mein Freund. Also los.«
Gurney nickte. »Genau. Die Bombe. Vielleicht wollen Sie sich Notizen machen.«
Ein Zucken unter dem Auge des Captains zeigte, dass er den Vorschlag als Beleidigung empfand.
»Kommen Sie einfach zur Sache«, forderte Kline.
»Die Bombe besteht aus mehreren Teilen. Ich werfe Sie Ihnen auf den Tisch, Sie können sie zusammensetzen. Zunächst hat sich herausgestellt, dass Hector Flores der Name einer Figur aus einem elisabethanischen Theaterstück ist – eine Figur, die sich als spanischer Gärtner ausgibt. Interessante Übereinstimmung, oder?«
Kline legte die Stirn in Falten. »Was für ein Theaterstück?«
»Das ist das Interessante daran. Die Handlung dreht sich um die Verletzung eines sexuellen Tabus, um Inzest. Inzest ist auch meist ein signifikantes Element in der kindlichen Prägung von Sexualstraftätern.«
Klines Stirnrunzeln vertiefte sich. »Und was wollen Sie damit sagen?«
»Der Mann, der in Ashtons Cottage gewohnt hat, hat den Namen Hector Flores mit größter Wahrscheinlichkeit aus diesem Stück.«
Der Captain gab ein leises Schnauben von sich.
»Ich glaube, da brauchen wir noch mehr Einzelheiten«, meinte Kline.
»In dem Stück geht es um Inzest. Die Figur Hector Flores tritt als Gärtner verkleidet auf. Und …« Gurney konnte der dramatischen Pause nicht widerstehen. »… zufälligerweise tötet er die schuldbeladene weibliche Figur im Stück, indem er ihr den Kopf abschneidet.«
Kline riss die Augen auf. »Was?«
Rodriguez starrte Gurney ungläubig an. »Was ist das für ein verdammtes Stück?«
Statt sich auf eine Diskussion einzulassen, die nicht ausbleiben konnte, wenn er verriet, dass der Text des Dramas nicht mehr existierte, verwies Gurney den Captain auf Peggy Meekers früheren Englischprofessor. »Er wird Ihnen die Sache bestimmt gern näher erklären. Außerdem besteht überhaupt kein Zweifel, dass ein Zusammenhang zwischen dem Stück und dem Mord an Jillian Perry vorliegt. Der Name des Autors war Edward Vallory.«
Kline brauchte einen Moment, bis es ihm dämmerte. »Die Unterschrift unter der SMS ?«
»Genau. Jetzt wissen wir also ganz sicher, dass die Identität als mexikanischer Tagelöhner ein Schwindel war, ein Schwindel, auf den alle hereingefallen sind.«
Der Captain schien kurz vor einem Ausbruch.
Gurney fuhr fort. »Dieser Typ ist mit einem festen Plan und einem langen Atem nach Tambury gekommen. Und die Obskurität der literarischen Anspielung signalisiert, dass wir es mit einer ziemlich gebildeten Person zu tun haben. Der Inhalt des Stücks ist ein deutlicher Hinweis, dass Jillian Perrys Vergangenheit als sexuelle Missbraucherin das Motiv für den Mord war.«
Kline versuchte, seine Fassungslosigkeit zu kaschieren. »Okay, wir haben also … wir haben also einen neuen
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