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Schließe deine Augen

Schließe deine Augen

Titel: Schließe deine Augen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Verdon
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Stühlen, Anrichte und geschnitzten Balken aus poliertem Mahagoni. Vor den hohen Fenstern in beiden Räumen verhüllten dunkelgrüne Vorhänge die Tages- und Jahreszeit und schufen damit die Illusion einer eleganten, losgelösten Welt, in der man damit rechnen durfte, dass gleich Cocktails serviert wurden.
    »Willkommen, David Gurney. Schön, dass Sie die weite Reise so kurzfristig auf sich nehmen konnten.«
    Gurney folgte der Stimme mit der seltsamen Aussprache, bis er auf einen unscheinbaren kleinen Mann stieß, der fast zu verschwinden schien in seinem wuchtigen Lederclubsessel neben einer hoch aufragenden Regenwaldpflanze. In der Hand hielt er ein Likörgläschen, das mit einer blassgrünen Flüssigkeit gefüllt war.
    »Verzeihen Sie mir, dass ich zur Begrüßung nicht aufstehe. Ich habe Schwierigkeiten mit meinem Rücken. Empörenderweise ist es bei schönem Wetter am schlimmsten. Ein lästiges Rätsel, nicht? Bitte nehmen Sie Platz.« Er deutete auf einen gleichartigen Sessel, der seinem gegenüberstand. Dazwischen lag ein Orientteppich. Er trug verblichene Jeans und ein burgunderrotes Sweatshirt. Sein Haar war kurz, dünn, grau, nachlässig gekämmt. Sein verschleierter Blick weckte den Eindruck schläfriger Entrücktheit.
    »Sicher möchten Sie etwas trinken. Eins der Mädchen wird Ihnen etwas bringen.« Sein Akzent schien auf verschiedene europäische Wurzeln zurückzugehen. »Ich selbst habe mich dummerweise wieder für Absinth entschieden.« Er hob den grünlichen Likör und beäugte ihn wie einen untreuen Freund. »Ich kann es nicht empfehlen. Seit es legal und offiziell völlig harmlos ist, hat es meiner Ansicht nach seine Seele eingebüßt.« Er setzte das Glas an die Lippen und leerte es zur Hälfte. »Weshalb komme ich also immer wieder darauf zurück? Eine interessante Frage. Vielleicht bin ich sentimental. Ganz im Gegensatz zu Ihnen selbstverständlich. Sie sind ein großer Detective, ein Mann mit klarem Blick, unbehindert von alberner Rührseligkeit. Also keinen Absinth für Sie. Aber etwas anderes. Was Sie wünschen.«
    »Ein kleines Glas Wasser vielleicht?«
    »Acqua minerale? Mineralwasser? L’eau gazeuse?«
    »Leitungswasser.«
    »Natürlich.« Sein plötzliches Grinsen strahlte wie gebleichte Knochen. »Ich hätte es wissen müssen.« Er hob die Stimme nur leicht, wie jemand, der stets von Dienern umgeben ist. »Ein Glas Leitungswasser für unseren Gast.« Die seltsam lächelnde Frau, die sich als seine Tochter vorgestellt hatte, verließ das Zimmer.
    Gurney ließ sich ruhig auf dem Sessel nieder, zu dem ihn der Mann dirigiert hatte. »Warum sollten Sie wissen, dass ich Leitungswasser will?«
    »Weil mir Ms Reynolds Ihren Charakter beschrieben hat. Sie runzeln die Stirn. Auch das hätte ich vorhersehen müssen. Sie betrachten mich mit den Augen eines Detectives und fragen sich: ›Wie viel weiß dieser Jykynstyl über mich? Was hat ihm die Reynolds noch alles erzählt?‹ Habe ich recht?«
    »Sie sind mir weit voraus. Ich bin immer noch mit dem Zusammenhang zwischen Leitungswasser und meinem Charakter beschäftigt.«
    »Sie hat mir gesagt, Sie sind innen so kompliziert, dass Sie außen alles möglichst einfach halten wollen. Würden Sie da zustimmen?«
    »Klar, warum nicht?«
    »Sehr gut«, bemerkte Jykynstyl wie ein Kenner beim Kosten eines aufregenden Weins. »Außerdem hat sie mich davor gewarnt, dass Sie immer nachdenken und mehr wissen, als Sie zugeben.«
    Gurney zuckte die Achseln. »Ist das ein Problem?«
    Im Hintergrund setzte Musik ein, so leise, dass die Töne kaum zu hören waren. Es war eine traurige, langsame Cellomelodie. Ihr zurückhaltendes Murmeln erinnerte Gurney an die englischen Düfte, die auf subtile Weise Scott Ashtons Garten durchwehten.
    Lächelnd nippte der kleine Mann mit dem flaumigen Haar an seinem Absinth. Durch den Bogen am hinteren Ende trat eine weitere junge Frau mit einprägsamer, durch tiefgeschnittene Jeans und ein noch tiefer geschnittenes T-Shirt betonter Figur und näherte sich mit einem Kristallglas Wasser auf einem silbernen Tablett. Sie hatte die Augen und den Mund einer doppelt so alten Zynikerin. Gurney nahm das Glas entgegen.
    Inzwischen beantwortete Jykynstyl seine Frage. »Für mich ist das bestimmt kein Problem. Ich weiß es zu schätzen, wenn ein Mann Substanz hat und nicht mit seinen Fähigkeiten prahlt. So ein Mann sind Sie doch, oder?« Als Gurney nicht reagierte, lachte Jykynstyl. Ein trockener, humorloser Laut. »Wie ich sehe, sind Sie

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