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Schließe deine Augen

Schließe deine Augen

Titel: Schließe deine Augen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Verdon
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amüsiert als gekränkt. »Und wie alle Polizisten stellen Sie die Fragen lieber, statt sie zu beantworten. Eine Besonderheit Ihres Berufs, nicht wahr?«
    »Ja.«
    Er gab ein undefinierbares Geräusch zwischen Lachen und Husten von sich. Was von beidem, war auch seinen Augen nicht anzumerken. »Dann darf ich mich auf die Antworten konzentrieren. Vermutlich möchten Sie wissen, warum dieser verrückte kleine Kauz mit dem komischen Namen Ihnen so viel Geld geben will für diese Porträts, die Ihnen vielleicht ganz schnell und locker von der Hand gehen.«
    Gurney fuhr auf. »So schnell und locker auch wieder nicht.« Dann ärgerte er sich, dass er den Einwand vorgebracht hatte.
    Jykynstyl blinzelte. »Nein, natürlich nicht. Verzeihen Sie mir, manchmal drücke ich mich etwas ungenau aus. Soll ich es noch einmal versuchen, oder wissen Sie, was ich meine?«
    »Ich denke schon.«
    »Dann also zur Hauptfrage: Warum biete ich so viel Geld für Ihre Kunst?« Er ließ sein eisiges Grinsen aufblitzen. »Weil sie es wert ist. Und weil ich sie exklusiv besitzen will, ohne Konkurrenz. Deswegen mache ich Ihnen ein hervorragendes Angebot, das Sie ohne Bedenken und Gefeilsche annehmen können. Verstehen Sie?«
    »Ich kann Ihnen folgen.«
    »Gut. Ihnen ist wohl schon das Bild an der Wand hinter mir aufgefallen. Der Holbein.«
    »Das ist ein Original von Hans Holbein?«
    »Original? Ja, natürlich. Ich besitze keine Reproduktionen. Wie finden Sie es?«
    »Ich habe nicht die richtigen Worte dafür.«
    »Sagen Sie einfach, was Ihnen einfällt.«
    »Verblüffend, erstaunlich, lebendig, bestürzend.«
    Eine Minute lang musterte ihn Jykynstyl, ehe er wieder sprach. »Dazu möchte ich zwei Dinge anmerken. Erstens kommen diese Worte, die Ihrer Meinung nach nicht die richtigen sind, der Wahrheit viel näher als der ganze Humbug der Kunstkritiker. Zweitens sind das die gleichen Worte, die mir eingefallen sind, als ich Ihr Porträt des Mörders Piggert gesehen habe. Genau die gleichen Worte. Verblüffend. Erstaunlich. Lebendig. Bestürzend. So wie Sie das Gemälde von Holbein beschreiben. Für den Holbein habe ich etwas mehr als acht Millionen Dollar bezahlt. Der Betrag ist eigentlich ein Geheimnis, aber ich verrate es Ihnen trotzdem. Acht Millionen achthundertfünfzigtausend Dollar – für eine Goldnarzisse. Eines Tages werde ich ihn vielleicht für das Dreifache verkaufen. Und jetzt bezahle ich jeweils hunderttausend für einige Narzissen von David Gurney, und eines Tages werde ich sie vielleicht für das Zehnfache verkaufen, wer weiß? Stoßen Sie bitte mit mir auf die Zukunft an. Darauf, dass dieses Geschäft uns beiden die Erfüllung bringt, die wir uns wünschen.« Jykynstyl schien Gurneys Skepsis zu spüren und fuhr fort. »Das kommt Ihnen nur deshalb wie sehr viel Geld vor, weil Sie nicht daran gewöhnt sind. Nicht weil Ihre Arbeiten es nicht wert sind. Vergessen Sie das nie. Sie werden für Ihre außerordentliche Einfühlung und die Fähigkeit belohnt, das Erkannte auszudrücken – ähnlich wie Hans Holbein. Als Detective sind Sie nicht nur dem kriminellen Bewusstsein auf der Spur, sondern dem menschlichen Wesen insgesamt. Warum sollten Sie dafür nicht angemessen bezahlt werden?«
    Jykynstyl hob sein Glas Latour. Gurney folgte seinem Beispiel mit dem Montrachet.
    »Auf Ihre Einfühlung und Ihr Werk, auf unsere Geschäftsvereinbarung und auf Sie selbst, Detective David Gurney.«
    »Und auf Sie, Mr Jykynstyl.«
    Sie tranken. Es war eine angenehme Überraschung. Noch nie in seinem Leben hatte er einen so erlesenen Wein gekostet, und – was ihm sonst nur äußerst selten passierte – er bekam sofort Lust auf ein zweites Glas. Als er das erste geleert hatte, erschien mit einem sonderbaren Funkeln in den Augen die junge Frau, die ihn im Aufzug begleitet hatte, und schenkte ihm nach.
    In den nächsten Minuten speisten die beiden still. Der kalte Barsch schmeckte wunderbar, und der Montrachet steigerte den Genuss noch. Als Sonya ihm vor zwei Tagen von Jykynstyls Offerte erzählt hatte, waren in Gurney Fantasien aufgestiegen, was er mit dem Geld anfangen konnte: geografische Fantasien, die ihn zur Nordwestküste führten, nach Seattle, zum Puget Sound und zu den San Juan Islands in der Sommersonne, blauer Himmel und blaues Wasser, am Horizont die Olympic Mountains. Nun tauchte dieses Bild erneut auf, angeregt durch die Bekräftigung des finanziellen Potenzials, das in den Verbrecherporträts steckte, und durch das zweite, noch köstlichere

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