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Schließe deine Augen

Schließe deine Augen

Titel: Schließe deine Augen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Verdon
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nehmen. Am Vormittag ist es ganz schlecht, später am Tag wäre besser. Rufen Sie mich mit ein paar Terminvorschlägen an, dann überlegen wir uns gemeinsam was. Nach dem Wenigen, was ich bisher weiß, würde ich meinen, dass Sie Jagd auf einen ziemlich kranken Typen machen.« Das lebhafte Brodeln unter der Fassade ihres professionellen Tons ließ keinen Zweifel daran, dass sie große Lust hatte, sich an der Jagd nach diesem Kranken zu beteiligen. Sie hinterließ eine Nummer mit einer Vorwahl aus Albany.
    Die siebte und letzte Nachricht um 20.35 Uhr stammte wieder von Sonya. »Scheiße, David lebst du noch?«
    Erneut schaute er nach der Zeit. 20.58 Uhr.
    Er hörte sich die letzte Nachricht noch ein zweites und drittes Mal an, um zu erkennen, ob Sonyas Frage eine ernste Bedeutung hatte. Doch außer der Ungeduld von jemandem, dessen Anrufe nicht beantwortet wurden, war nichts auszumachen. Als er bereits ihre Nummer eingeben wollte, fiel ihm ein, dass er auch noch eine SMS bekommen hatte.
    Sie war kurz, anonym und vieldeutig: »Diese Leidenschaft! Diese Geheimnisse! Diese herrlichen Fotos!«
    Benommen starrte er die Nachricht an. Auf den zweiten Blick war sie, obwohl sie viel der Fantasie überließ, keineswegs so vieldeutig. Und eigentlich war das, was sie der Fantasie überließ, sogar ziemlich eindeutig.
    Der mögliche Inhalt dieser Fotos platzte in sein Leben wie eine Bombe am Straßenrand.

44
Déjà-vu
    Unerschütterliche Beherrschung, Konzentration aufs Wesentliche und die objektive Überprüfung der Fakten waren die tragenden Säulen für Gurneys Erfolge als Mordermittler gewesen.
    Doch in diesem Augenblick hatte er größte Mühe, sich auf diese Qualitäten zu besinnen. In seinem Kopf ging es drunter und drüber vor unbekannten Faktoren und schrecklichen Möglichkeiten.
    Wer zum Teufel war dieser Jykynstyl? Oder sollte er besser fragen, wer zum Teufel war dieser Typ, der sich als Jykynstyl ausgab? Was war der Zweck der Drohung? Es war ziemlich sicher, dass es sich um etwas Kriminelles handelte. Die Hoffnung, dass er nur einen alkoholbedingten Blackout gehabt hatte, konnte er angesichts der SMS vergessen. Er musste der Tatsache ins Auge sehen, dass man ihm Drogen gegeben hatte und dass das schlimmste Szenario mit Rohypnol eingetreten war.
    Rohypnol und Alkohol. Ein Cocktail, der enthemmt und zu Gedächtnisverlust führt. Die Date-Rape-Droge. Die Droge, die Ängste und Skrupel zerstreut. Die Droge, die moralische und praktische Hemmungen beseitigt, die das Eingreifen von Vernunft und Gewissen blockiert, die einen Menschen auf die Summe seiner urtümlichen Begierden reduziert. Die Droge, die innere Regungen, und seien sie noch so verrückt, in Taten umsetzt, und seien sie noch so schädlich. Die Droge, die ohne Rücksicht auf die Folgen für den Betroffenen den Bedürfnissen des primitiven Echsengehirns Vorrang verleiht, und die das – sechs bis zwölf Stunden dauernde – Erlebnis hinterher mit einer undurchdringlichen Amnesie verschleiert. Fast als wäre sie erfunden worden, um Katastrophen herbeizuführen. Katastrophen, wie Gurney sie sich ausmalte, während er hilflos darum rang, das Unbegreifliche zu begreifen.
    Von Madeleine hatte er gelernt, an ein Handeln in kleinen, einfachen Schritten zu glauben. Doch wenn nichts einen Sinn ergab und in jeder Richtung eine schattenhafte Bedrohung lauerte, fiel es schon schwer, sich für den ersten Schritt zu entscheiden.
    Immerhin gelangte er zu der Einsicht, dass es ihm nicht half, wenn er hier weiter vor seiner ehemaligen Schule parkte. Selbst wenn er ohne festen Plan losfuhr, konnte er zumindest erkennen, ob man ihn beobachtete oder ihm folgte. Bevor er sich wieder in wirren Gegenargumenten verheddern konnte, startete er den Wagen und wartete, bis die Ampel an der Kreuzung auf Grün sprang und drei Taxis vorbeigebraust waren. Dann schaltete er die Scheinwerfer an, lenkte das Auto schnell auf die Straße und schaffte es gerade noch über die Madison Avenue, bevor die Ampel rot wurde. An mehreren Kreuzungen bog er wahllos ab, bis er sicher war, dass ihn niemand beschattete. Dann steuerte er auf der Ostseite von Manhattan in südliche Richtung.
    Ohne sich bewusst dafür entschieden zu haben, erreichte Gurney schließlich die Gegend, in der Jykynstyls Domizil lag. Er fuhr daran vorbei und einmal um den Block. In den Fenstern des Sandsteinhauses brannte kein Licht. Er stoppte in der gleichen Parkverbotszone wie vor neun Stunden.
    Er war fahrig und unsicher, wie er weiter

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