Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schließe deine Augen

Schließe deine Augen

Titel: Schließe deine Augen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Verdon
Vom Netzwerk:
Vorgehensweise nachahmte, und so dumm, dass er sie in einem flachen Grab in seinem eigenen Garten verscharrte. Gurney hatte schon mit seltsameren Ereignisabfolgen zu tun gehabt, doch das machte dieses Szenario auch nicht plausibler.
    Gurney vermutete, dass es für den Mord an Kiki Muller eine bessere Erklärung gab als den Zorn eines eifersüchtigen Ehemanns, nämlich eine, die direkt im Zusammenhang mit dem Rätsel von Mapleshade stand. Als er von der Higgles Road in die Badger Lane bog, fühlte er sich allmählich wieder normal. Zwar war er weit davon entfernt, eine fröhliche Melodie zu pfeifen, aber zumindest war ihm nicht mehr übel, und er arbeitete in seinem Metier.
    Zwei tätowierte Klone von Calvin Harlen standen mit dem Original neben dem Misthaufen, der die Grenze zwischen dem verwahrlosten Haus und der verwahrlosten Scheune markierte. Mit träger Gehässigkeit folgten ihre dumpfen Blicke Gurneys Auto.
    Auf der Strecke zu Ashtons Haus rechnete er halb damit, Marian Eliot und die neuerdings berühmte Melpomene – die Enthüllerin vergrabener Sünden – in mürrischer Pose vor ihrem Eingang zu entdecken, doch von beiden war nichts zu sehen. Auch das Haus von Carl Muller wirkte wie ausgestorben.
    Als er auf Ashtons backsteingepflasterter Einfahrt ausstieg, fiel ihm erneut das britische Ambiente des Anwesens auf: eine subtile Atmosphäre von Reichtum und ruhiger Exklusivität. Statt direkt zur Haustür zu treten, ging er hinüber zu dem Spalierbogen, der als Eingang zu der großen Rasenfläche hinter dem Haus diente. Die Sträucher waren noch überwiegend grün, doch an den Bäumen zeichneten sich schon deutliche gelbe und rote Flecken ab.
    »Detective Gurney?«
    Er wandte sich zum Haus. Scott Ashton stand in der offenen Seitentür.
    Gurney lächelte. »Tut mir leid, dass ich Sie am Sonntagvormittag störe.«
    Ashton erwiderte das Lächeln. »Bei einer Mordermittlung wird wohl kein Unterschied gemacht zwischen Wochentagen und Wochenende. Führt Sie etwas Besonderes her?«
    »Ich wollte Sie fragen, ob ich mich in der Umgebung des Cottages näher umsehen kann.«
    »Beim Cottage?«
    »Genau. Wenn es Ihnen nichts ausmacht.«
    »Interessieren Sie sich für was Bestimmtes?«
    »Ich hoffe, dass ich es erkenne, wenn ich es sehe.«
    Ashtons Lächeln war so gemessen wie seine Stimme. »Geben Sie mir Bescheid, wenn Sie Hilfe brauchen. Ich bin mit meinem Vater in der Bibliothek.«
    Manche Leute haben ein Arbeitszimmer, dachte Gurney, und andere eine Bibliothek. Wer wollte behaupten, dass es in Amerika keine Klassenunterschiede gab? Bestimmt niemand, der in einem englischen Steinhaus residierte und dessen Vater Hobart Ashton hieß.
    Durch das Spalier gelangte er zum Hauptrasen. Er war so in seine Gedanken versunken, dass ihm erst jetzt auffiel, was für ein herrlicher Tag es war – einer jener Herbsttage, an denen der veränderte Einfallwinkel der Sonne, die bunten Farben der Blätter und die völlig reglose Luft gemeinsam eine Welt zeitlosen Friedens schufen, eine Welt, die nichts von ihm forderte und deren Ruhe ihm den Atem raubte.
    Wie alle Augenblicke innerer Gelassenheit bei Gurney war auch dieser nur von kurzer Dauer. Er war hierhergekommen, um die Realität eines Ortes in sich einsickern zu lassen, an dem ein Mörder seinem blutigen Handwerk nachgegangen war.
    Er setzte seinen Weg um das Haus zu dem runden Tischchen auf der breiten Steinterrasse fort, wo eine Kugel aus einem Weatherby-Gewehr Ashtons Teetasse zerschmettert hatte. Er fragte sich, wo Hector Flores in diesem Moment war. Er konnte überall sein. Vielleicht war er im Wald, um das Haus im Auge zu behalten. Um Ashton und seinen Vater zu beobachten, um Gurney zu beobachten.
    Dann konzentrierte sich Gurney auf das Cottage, auf die Ereignisse am Tag des Mordes, am Tag der Hochzeit. Von seinem Platz aus konnte er die Fassade und eine Seite erkennen, dazu den Teil des Waldes, den Flores hatte passieren müssen, um die Machete an ihrem Fundort abzulegen. Im Mai waren die Blätter gerade herausgekommen, jetzt wurden sie dünner. Die Sichtverhältnisse im Unterholz waren also ähnlich.
    Wie schon viele Male in der letzten Woche malte sich Gurney einen athletischen Lateinamerikaner aus, der durchs rückwärtige Fenster kletterte und mit kraftvollen Schritten durch Bäume und Dornbüsche zu einer hundertfünfzig Meter entfernten Stelle rannte, um die blutige Machete halb im Laub zu verstecken. Und dann … Ja, was dann? Hatte er sich irgendwelche Plastiktüten

Weitere Kostenlose Bücher