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Schließe deine Augen

Schließe deine Augen

Titel: Schließe deine Augen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Verdon
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spürte und die Kälte sich aus seinen Fingern zurückzog, mit Madeleine reden. Doch zuerst sperrte er die Seitentür ab – nicht nur auf die übliche Weise, sondern mit dem Bolzenschloss, das sie sonst nie benutzten. Dann verriegelte er alle Fenster im Erdgeschoss.
    Eingermaßen zuversichtlich stieg er hinauf ins Schlafzimmer. Im Dunkeln trat er ans Bett. »Maddie?«
    »Du Scheißkerl!«
    Er hatte damit gerechnet, dass sie im Bett war, doch ihre schockierend aggressive Stimme kam aus der hinteren Ecke.
    »Was?«
    »Was hast du getan?« In ihrem Zischen brodelte die Wut.
    »Getan? Was …?«
    »Das ist mein Haus. Meine Zuflucht.«
    »Ja?«
    »Ja? Ja? Wie kannst du nur? Wie kannst du dieses Grauen in mein Haus bringen?«
    Die Frage und ihre Intensität raubten Gurney die Sprache. Vorsichtig tastete er sich am Bett entlang und schaltete die Lampe ein.
    Der antike Schaukelstuhl, der normalerweise am Bettende stand, war in die Ecke geschoben worden, die am weitesten von den Fenstern entfernt war. Madeleine saß darin, immer noch vollkommen angekleidet, die Knie hochgezogen. Erschrocken nahm Gurney erst den wilden Ausdruck in ihren Augen und dann die scharfe Schere in ihren geballten Fäusten wahr.
    Er besaß viel Erfahrung darin, beruhigend auf überreizte Menschen einzuwirken, doch all dieses Wissen schien hier fehl am Platz. Schließlich setzte er sich auf die Bettkante.
    »Jemand ist in mein Haus eingedrungen. Warum, David? Warum hat er das getan?«
    »Ich weiß es nicht.«
    »Natürlich weißt du es! Du weißt genau, was da vorgeht.«
    Er beobachtete sie, beobachtete die Schere. Ihre Knöchel waren weiß.
    »Du müsstest uns schützen«, fuhr sie mit bebendem Flüstern fort. »Dafür sorgen, dass unser Haus sicher ist. Aber du hast das Gegenteil getan. Das Gegenteil! Du hast zugelassen, dass furchtbare Menschen in unser Leben treten, in unser Haus. MEIN HAUS !« Ihre Stimme brach. » DU HAST MONSTER IN MEIN HAUS GELASSEN !«
    Noch nie hatte Gurney sie so rasend erlebt. Er blieb stumm. Ihm fielen keine passenden Worte ein, sein Kopf war leer. Er regte sich nicht, atmete kaum. Madeleines Gefühlsausbruch schien alle anderen Realitäten aus dem Zimmer, aus der Welt gefegt zu haben. Er wartete, ratlos, hilflos.
    Er wusste nicht, wie viel Zeit vergangen war, als sie sagte: »Ich kann nicht glauben, was du getan hast.«
    »Das wollte ich doch nicht.« Seine Stimme klang seltsam. Kleinlaut.
    Sie stieß einen Laut aus, den man für ein Lachen hätte halten können, der sich für ihn aber eher wie ein kurzer Krampf in der Lunge anhörte. »Diese grausigen Verbrecherporträts – das war der Anfang. Bilder von den widerwärtigsten Bestien auf der ganzen Welt. Aber das hat nicht gereicht. Es hat nicht gereicht, dass sie im Computer sind und uns vom Bildschirm aus anstarren.«
    »Maddie, ich versprech dir – wer auch in unser Haus eingedrungen ist, ich werde ihn finden. Ich werde ihn aus dem Verkehr ziehen. So was wird nie wieder passieren.«
    Sie schüttelte den Kopf. »Es ist zu spät. Merkst du nicht, was du getan hast?«
    »Ich merke, dass es eine Kriegserklärung war. Man hat uns angegriffen.«
    »Nein! Du … Kapierst du es denn nicht?«
    »Ich habe eine Klapperschlange aus ihrem Versteck gescheucht.«
    »Du hast sie in unser Leben gebracht.«
    Wortlos beugte er den Kopf.
    »Wir sind aufs Land gezogen. An einen schönen Ort. Lilien und Apfelblüten. Ein Teich.«
    »Maddie, ich versprech’s dir. Ich vernichte die Schlange.«
    Sie schien ihm gar nicht zuzuhören. »Merkst du nicht, was du getan hast?« Langsam deutete sie mit ihrer Schere auf das dunkle Fenster neben ihm. »Der Wald, der Wald, in dem ich wandere … Er hat sich dort versteckt und mich beobachtet.«
    »Wie kommst du darauf?«
    »Mein Gott, das ist doch klar! Er hat dieses hässliche Ding in das Zimmer gelegt, in dem ich arbeite, in dem ich lese, in das Zimmer mit meinem Lieblingsfenster, an dem ich beim Stricken sitze. Er wusste, dass ich mich gern in dem Zimmer aufhalte. Wenn er die Puppe in das andere Gästezimmer gelegt hätte, hätte ich sie vielleicht erst nach einem Monat entdeckt. Er hat es also genau gewusst. Er hat mich im Fenster gesehen. Und das war nur vom Wald aus möglich.« Sie brach ab und starrte ihn vorwurfsvoll an. »Verstehst du, was ich damit sagen will, David? Du hast meinen Wald zerstört. Wie soll ich dort jemals wieder wandern?«
    »Ich vernichte die Schlange. Ich bring es wieder in Ordnung.«
    »Bis du die nächste aufscheuchst.«

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