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Schließe deine Augen

Schließe deine Augen

Titel: Schließe deine Augen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Verdon
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einem Land?«
    »In einem lateinamerikanischen Land?«
    »In einem mit heißem Klima.«
    »Könnte ich nicht behaupten, Carl.«
    »Schmutzig, eins wie das andere. Mexiko, Nicaragua, Kolumbien, Brasilien, Puerto Rico – Schmutz, nichts als Schmutz!«
    »So wie Hector?«
    »Schmutzig!«
    Muller funkelte den aschebedeckten Rost an.
    Gurney blieb eine Minute stumm, um den Sturm abflauen zu lassen. Er beobachtete, wie sich die Schultern des Mannes allmählich entspannten und sich der Griff um die Sessellehnen lockerte.
    »Carl?«
    »Ja?« Muller schlug die Augen auf. Sein Gesicht war schockierend ausdruckslos.
    Gurney dämpfte seine Stimme. »Hatten Sie jemals Hinweise darauf, dass zwischen Ihrer Frau und Hector Flores etwas Ungehöriges gelaufen sein könnte?«
    Muller wirkte vollkommen perplex. »Wie war Ihr Name noch mal?«
    »Mein Name? Dave. Dave Gurney.«
    »Dave? Was für ein erstaunlicher Zufall! Wussten Sie, dass das mein zweiter Vorname ist?«
    »Nein, das wusste ich nicht.«
    »Carl David Muller.« Er starrte ins Leere. »›Carl David‹, hat meine Mutter immer gesagt, ›Carl David, geh sofort auf dein Zimmer! Carl David, wenn du dich nicht benimmst, könnte der Weihnachtsmann deine Wunschliste verlieren. Pass lieber auf, Carl David!‹«
    Er erhob sich von seinem Sessel, richtete sich gerade auf und intonierte die Worte mit der Stimme einer Frau – »Carl David« –, als könnte er damit die Mauer zu einer anderen Welt einreißen. Dann verließ er den Salon.
    Gurney hörte, wie sich die Eingangstür öffnete, und fand den Hausherrn daneben, der sie ihm aufhielt.
    »Schön, dass Sie vorbeigeschaut haben. Aber Sie müssen jetzt gehen. Manchmal vergesse ich, dass ich niemanden hereinlassen soll.«
    »Vielen Dank, Carl, dass Sie sich die Zeit genommen haben.« Aus Angst, dass bei Muller eine psychotische Störung hervorgetreten sein könnte, war Gurney geneigt, seiner Aufforderung zu folgen, um ihn nicht noch weiter zu belasten. Es war sicher besser, vom Auto aus Hilfe zu rufen.
    Auf halbem Weg zum Wagen aber wurde er unsicher. Vielleicht sollte er den Mann doch lieber im Auge behalten. Er kehrte zum Haus zurück. Bestimmt konnte er Muller überreden, ihn wieder einzulassen.
    Die Tür war gar nicht richtig geschlossen. Trotzdem klopfte er. Es blieb still. Er schob sie auf und schaute hinein. Keine Spur von Muller, doch eine Tür, die vorher zu gewesen war, stand jetzt einen Spalt offen. Er trat in die Eingangshalle und rief mit möglichst sanfter, freundlicher Stimme: »Mr Muller? Carl? Ich bin’s noch mal, Dave. Sind Sie da?«
    Keine Antwort. Doch eins war klar. Das Brummen – eher ein metallisches Rauschen – und das Weihnachtslied kamen durch diese angelehnte Tür. Er ging hinüber und schob sie mit dem Fuß ganz auf. Eine schwach erleuchtete Treppe führte hinunter in den Keller.
    Vorsichtig stieg Gurney hinab. Nach wenigen Schritten rief er erneut: »Mr Muller? Sind Sie da unten?«
    Ein Knabenchor wiederholte die Hymne auf Englisch: »O, come all ye faithful / Joyful and triumphant / Come ye, O, come ye to Bethlehem.«
    Da die Treppe zwischen Wänden verlief, konnte er nur ganz unten einen schmalen Ausschnitt des Kellers erkennen. Dieser sichtbare Teil war anscheinend wie Millionen anderer Tiefgeschosse in Amerika mit PVC -Platten und Fichtenverkleidung gestaltet. Das Normale daran übte eine seltsam beruhigende Wirkung auf ihn aus. Doch dieses Gefühl verflüchtigte sich rasch, als er aus dem Treppenschacht ins Licht trat.
    In der hintersten Ecke des Raums stand ein großer Weihnachtsbaum, dessen Wipfel sich unter der zwei Meter siebzig hohen Decke bog. Der Schein im Zimmer kam von Hunderten von Lichtern an dem Baum. Es gab farbige Girlanden, Eiszapfen aus Folie und Dutzende von Glasschmuckstücken in sämtlichen traditionellen Weihnachtsformen, von schlichten Kugeln bis hin zu handgeblasenen Engeln, die alle an silbernen Haken hingen. Fichtenaroma hing in der Luft.
    Hinter einer riesigen Plattform in der Größe von zwei Tischtennisplatten stand völlig hingerissen Carl Muller. Seine Hände umklammerten zwei Steuerhebel an einem schwarzen Metallkasten. Eine Modelleisenbahn surrte um die Plattform, wand sich in einer Acht über die Mitte, fuhr sanfte Steigungen hinauf und hinab, brauste durch Bergtunnel, zog durch winzige Dörfer und Bauernhöfe, überquerte Flüsse, passierte Wälder … immer wieder im Kreis herum.
    Mullers Augen strahlten hell in den Farben der Lichter am Baum und bildeten einen

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