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Schließe deine Augen

Schließe deine Augen

Titel: Schließe deine Augen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Verdon
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des Haupthauses, die Steinterrasse, die Blumenbeete und der umgebende Wald, die er alle schon kannte, hatten sich auf beklemmende Weise verändert durch den Wandel der Jahreszeiten, die Leere, die Stille. Das exotische Aroma war hier stärker. Gurney erkundigte sich danach.
    Ashton zeigte vage in Richtung der Kräuterbeete um die Terrasse. »Kamille, Windröschen, Malve, Bergamotte, Gänsefingerkraut, Buchsbaum. Die relative Stärke der einzelnen Bestandteile ändert sich mit der Windrichtung.«
    »Haben Sie einen neuen Gärtner?«
    Ashtons Gesicht wurde starr. »Statt Hector Flores?«
    »Soviel ich gehört habe, war er für die meisten Arbeiten hier zuständig.«
    »Nein, er wurde nicht ersetzt.« Ashton warf einen Blick auf die Baumsäge in seiner Hand und lächelte ohne Wärme. »Außer von mir.« Er wandte sich zur Terrasse. »Da ist der Tisch, den Sie sehen wollten.« Er führte Gurney durch eine Lücke in der niedrigen Steinmauer zu einem Eisentisch, der zusammen mit zwei passenden Stühlen bei der Hintertür des Hauses stand.
    »Möchten Sie sich setzen?« Wieder war es keine Einladung, sondern eine Frage.
    Gurney ließ sich auf dem Stuhl nieder, von dem er den besten Blick über das Gelände hatte. Plötzlich fiel ihm auf der anderen Seite der Terrasse eine schwache Bewegung auf. Auf einer kleinen Bank an der sonnigen Rückwand des Hauses saß ein älterer Mann in einer braunen Strickjacke mit einem Zweig in der Hand, den er hin- und herpendeln ließ wie ein Metronom. Er hatte schütteres graues Haar, bleiche Haut und einen benommenen Gesichtsausdruck.
    »Mein Vater.« Ashton nahm gegenüber von Gurney Platz.
    »Zu Besuch?«
    Ashton zögerte. »Ja, zu Besuch.«
    Gurney setzte eine neugierige Miene auf.
    »Er war wegen fortgeschrittener Demenz und Aphasie seit zwei Jahren in einem privaten Pflegeheim.«
    »Er kann nicht sprechen?«
    »Schon seit einem Jahr nicht mehr.«
    »Und Sie haben ihn hergeholt?«
    Ashton verengte die Augen, als wollte er Gurney gleich mitteilen, dass ihn das nichts anging, doch dann wurde sein Gesicht weicher. »Durch Jillians … Tod wurde es … ein wenig einsam.« Er stockte. »Ich glaube, ein oder zwei Wochen nach ihrem Tod habe ich beschlossen, meinen Vater eine Weile zu mir zu nehmen. Ich dachte, wenn ich bei ihm bin und mich um ihn kümmere …« Wieder verstummte er.
    »Wie schaffen Sie das, wenn Sie jeden Tag zur Mapleshade Academey fahren?«
    »Er begleitet mich. Erstaunlicherweise ist das kein Problem. Körperlich geht es ihm bestens. Keine Schwierigkeiten mit dem Gehen, mit dem Treppensteigen, mit dem Essen. Auch für seine … hygienischen Bedürfnisse braucht er keine Hilfe. Neben dem sprachlichen Problem hat er vor allem ein Orientierungsdefizit. Meistens weiß er nicht, wo er ist, und meint, er ist in der Wohnung in der Park Avenue, wo wir gelebt haben, als ich noch ein Kind war.«
    »Gute Gegend.« Gurney warf einen Blick hinüber zu dem Alten auf der Bank.
    »Nicht schlecht jedenfalls. Er war eine Art Finanzgenie. Hobart Ashton. Angesehenes Mitglied einer Gesellschaftsschicht, in der sich alle Männernamen nach Privatschulen für Knaben anhören.« Offenbar ein altes Bonmot; es klang ziemlich abgestanden.
    Gurney lächelte höflich.
    Ashton räusperte sich. »Aber Sie sind nicht hier, um über meinen Vater zu reden. Und ich habe nicht viel Zeit. Also, was kann ich für Sie tun?«
    Gurney legte die Hände flach auf den Tisch. »Haben Sie hier gesessen, als der Schuss fiel?«
    »Ja.«
    »Macht es Sie nicht nervös, sich an derselben Stelle zu befinden?«
    »Viele Dinge machen mich nervös.«
    »Auf diese Idee käme ich nie, wenn ich Sie so anschaue.« Nach längerem Schweigen fuhr Gurney fort. »Meinen Sie, der Schütze hat getroffen, worauf er gezielt hat?«
    »Ja.«
    »Warum sind Sie so sicher, dass er nicht auf Sie gezielt hat?«
    »Haben Sie Schindlers Liste gesehen? In einer Szene will Schindler den Lagerkommandanten dazu überreden, das Leben von Juden zu schonen, die er normalerweise wegen geringer Vergehen erschossen hätte. Wenn er in der Lage ist und ein gutes Recht darauf hat, sie zu erschießen, dann wäre es, so Schindlers Argument, der größte Beweis seiner Macht, wenn er sie wie ein Gott verschonen würde.«
    »Sie meinen, dass hat Flores bezweckt? Er hat die Teetasse zerschossen und Sie verschont, um zu beweisen, dass er die Macht hat, Sie zu töten?«
    »Es ist eine plausible Hypothese.«
    »Falls Flores der Schütze war.«
    Ashton blickte Gurney in die

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