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Schließe deine Augen

Schließe deine Augen

Titel: Schließe deine Augen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Verdon
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hätte die hirnrissige Anschuldigung einen Schalter in Gurney umgelegt, von dessen Existenz die wenigsten Menschen etwas ahnten.
    Vielleicht hatte der andere Beamte ein mulmiges Gefühl, oder Blatts feindseliges Auftreten hatte ihn schon öfter in Schwierigkeiten gebracht. Möglicherweise war ihm auch einfach nur ein Licht aufgegangen. »Gurney? Ist das nicht der mit den ganzen Auszeichnungen von der New Yorker Polizei?«
    Blatt blieb ihm die Antwort schuldig. Trotzdem entschärfte die Frage die Situation zumindest so weit, dass sie nicht weiter eskalierte.
    Dumpf starrte er Gurney an. »Ein guter Rat: Halten Sie sich raus und verschwinden Sie, und zwar plötzlich. Wenn Sie diesen Fall auch nur schief anschauen, dann buchte ich Sie wegen Behinderung der Justiz ein, das garantiere ich.« Er hob die Hand, zielte mit dem Zeigefinger zwischen Gurneys Augen und ließ den Daumen niedersausen wie einen Hahn.
    Gurney nickte. »Hab verstanden, aber … ich hätte eine Frage. Angenommen, ich finde raus, dass all Ihre Annahmen zu diesem Fall Schwachsinn sind. An wen soll ich mich dann wenden?«

22
Der Spinnenfreund
    Der Kaffee auf dem Heimweg war ein Fehler gewesen. Die Zigarette war ein noch größerer.
    Das Tankstellengebräu hatte sich dank der Einwirkung von Zeit und Verdampfung zu einer teerfarbenen Koffeinbombe konzentriert, die kaum mehr nach Kaffee schmeckte. Gurney trank es trotzdem: ein tröstliches Ritual. Weniger tröstlich war allerdings die Wirkung des Koffeins auf seine Nerven, als der erste Rausch verflog und einer vibrierenden Unrast wich, die nach einer Zigarette schrie. Aber auch diese brachte Vor- und Nachteile mit sich: ein kurzes Gefühl von Erleichterung und Befreiung, gefolgt von Gedanken, die so deprimierend waren wie die Wolkendecke. Die Erinnerung an die Bemerkung eines Therapeuten vor fünfzehn Jahren: »David, Sie benehmen sich wie zwei verschiedene Menschen. Im Berufsleben zeigen Sie Schwung, Entschlossenheit, Zielstrebigkeit. Im Privatleben sind Sie ein Schiff ohne Ruder.« Manchmal bildete er sich ein, Fortschritte zu machen – wenn er das Rauchen aufgab, das Leben mehr draußen statt im Kopf verbrachte, sich stärker auf das Hier und Heute und auf Madeleine konzentrierte. Doch jedes Mal schlitterte er unweigerlich aus dem angestrebten Ideal zurück in die Persönlichkeit, die er schon immer gewesen war.
    Sein neuer Subaru hatte keinen Aschenbecher, er musste sich also mit einer ausgespülten Sardinendose behelfen. Als er darin seine Kippe ausdrückte, erinnerte ihn das an ein anderes Beispiel seiner Zerstreutheit, an ein weiteres Versagen in seinem Privatleben: Er hatte das Abendessen vergessen.
    Auch nach seinem Anruf bei Madeleine – bei dem er seine Gedächtnisschwäche genauso unerwähnt ließ wie die Tatsache, dass er nicht wusste, wen sie eingeladen hatten, und nur fragte, ob er von unterwegs etwas mitbringen sollte – fühlte er sich nicht unbedingt besser. Er spürte förmlich, dass sie sein Vertuschungsmanöver durchschaute. Es war ein kurzer Anruf mit langen Pausen. Zuletzt:
    »Räumst du die Mordakten weg, wenn du nach Hause kommst?«
    »Ja, hab ich doch versprochen.«
    »Gut.«
    Den Rest der Fahrt kreisten Gurneys rastlose Gedanken um mehrere quälende Fragen: Warum hatte Arlo Blatt am Eingang der Badger Lane gewartet? Vorhin hatte dort kein Überwachungsfahrzeug gestanden. Hatte er einen Tipp erhalten, dass da jemand neugierige Fragen stellte? Dass Gurney Fragen stellte? Aber wem war das so wichtig, dass er sich an Blatt wandte? Und warum war Blatt so wild darauf, ihn von dem Fall fernzuhalten? Das brachte ihn auf eine weitere ungelöste Frage: Warum war Jack Hardwick so wild darauf, ihn darauf anzusetzen?
    Unter einem finsteren Himmel bog Gurney exakt um fünf Uhr auf die Schotterstraße, die zu seinem Farmhaus hinaufführte. Nach gut einem Kilometer bemerkte er vor sich einen anderen Wagen, einen graugrünen Prius. Hintereinander schoben sie sich auf der staubigen Piste dahin, und ihm dämmerte, dass die Leute in dem Auto die rätselhaften Gäste sein mussten.
    Auf dem zerfurchten Feldweg durch die Wiese, hin zu dem kleinen Parkbereich neben dem Haus, kroch der Prius vorsichtig dahin. Eine Sekunde bevor sie ausstiegen fiel es Gurney ein: George und Peggy Meeker. George, ein pensionierter Professor für Entomologie, war ein heuschreckenartig schlaksiger Mann Anfang sechzig. Und Peggy, eine quirlige Sozialarbeiterin Anfang fünfzig, war diejenige, die Madeleine zu ihrem

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