Schließe deine Augen
hinstellt, als einen Mangel im menschlichen Grenzsystem. Die Schwarze Witwe mit ihrer üblen Gewohnheit, ihren Partner nach der Paarung zu töten und zu fressen, wäre wahrscheinlich sein Ideal von Vollkommenheit. Der vollkommene Soziopath.«
»Aber da er dieses erste Buch in einem zweiten Buch attackiert hat«, sagte Gurney, »lässt sich schwer einschätzen, wie er tatsächlich zu Soziopathen oder Schwarzen Witwen steht – oder zu irgendwas sonst.«
Madeleines Blick zu Peggy wurde nachdrücklicher. »Und dieser Mann soll eine Autorität für die Behandlung von Missbrauchsopfern sein?«
»Ja, oder eigentlich nein. Er behandelt nicht die Opfer. Er behandelt die Missbraucher.«
Madeleines Ausdruck veränderte sich. Anscheinend fand sie diese Information sehr bedeutsam.
Für Gurney verlängerte sich damit nur die Liste von Fragen, die er Ashton am nächsten Morgen stellen wollte. Das wiederum erinnerte ihn an eine andere ungelöste Frage, die er auch gleich seinen Gästen vorlegte: »Sagt einem von euch der Name Edward Vallory was?«
Als Gurney um Viertel vor elf endlich eingedöst war, klingelte sein Handy auf dem Nachttisch auf Madeleines Seite. Er hörte, wie sie sich meldete und sagte: »Ich sehe nach, ob er wach ist.« Dann tippte sie ihm auf den Arm und hielt ihm das Telefon hin, bis er es entgegennahm.
Es war Ashtons weicher Bariton, vor Nervosität klang er etwas angespannt. »Entschuldigen Sie die Störung, aber es könnte wichtig sein. Vor Kurzem habe ich eine SMS erhalten. Nach der Rufnummernkennung zu schließen von Hectors Handy. Ich glaube, es ist exakt die gleiche Nachricht, die Jillian an unserem Hochzeitstag bekommen hat: ›Aus allen Gründen, die ich schrieb. Edward Vallory.‹ Ich habe die Sache beim BCI gemeldet, und ich wollte, dass auch Sie davon erfahren.« Er stockte und räusperte sich nervös. »Meinen Sie, das bedeutet, dass Hector zurückkommt?«
Gurney hatte keinen großen Respekt vor mysteriösen Zufällen. Aber nach der Erwähnung dieses Namens, den er kurz zuvor selbst genannt hatte, lief ihm ein kalter Schauer über den Rücken.
Erst nach über einer Stunde konnte er wieder einschlafen.
23
Reichweite
»Nur zwei Wochen.« Gurney trug seinen Kaffee zum Frühstückstisch.
»Hmm.« Madeleine war sehr artikuliert mit ihren kleinen Lauten. Mit diesem brachte sie zum Ausdruck, dass sie verstanden hatte, aber im Moment gerade nicht darüber reden wollte. Irgendwie brachte sie es fertig, im frühen Morgenlicht Schuld und Sühne für ihr nächstes Buchclubtreffen zu lesen.
»Nur zwei Wochen, das ist alles.«
»Du bist also fest entschlossen?« Sie schaute nicht auf.
»Ich verstehe nicht, warum das so ein großes Problem sein soll.«
Sie klappte das Buch zu, klemmte aber einen Finger zwischen die Seiten. Den Kopf ein wenig schräg gelegt blickte sie ihn an. »Für wie groß hältst du denn das Problem?«
»Keine Ahnung, ich kann nicht Gedanken lesen. Nein, vergiss es, das war eine blöde Bemerkung. Ich will nur festhalten, dass ich mein Engagement im Fall Perry auf eine Frist von zwei Wochen begrenze. Egal, was passiert, mehr mache ich nicht.« Er stellte den Kaffee auf den Tisch und setzte sich ihr gegenüber. »Hör zu, ich hab mich wahrscheinlich unklar ausgedrückt. Auf jeden Fall verstehe ich deine Sorge. Ich weiß, was du letztes Jahr durchgestanden hast.«
»Wirklich?«
Er schloss die Augen. »Ich glaube schon. Und es wird nicht mehr passieren.«
Am Ende der letzten Ermittlung, für die er sich freiwillig zur Verfügung gestellt hatte, war er beinahe getötet worden. Ein volles Jahr nach seiner Pensionierung war er dem Tod näher gekommen als in den über zwanzig Jahren als Detective beim New York Police Department. Vermutlich hatte dieser Aspekt Madeleine am schlimmsten getroffen – nicht bloß die Gefahr, sondern dass sie zugenommen hatte zu einem Zeitpunkt in ihrem Leben, als sie dachte, sie sei für immer gebannt.
Lange herrschte Schweigen.
Schließlich zog sie den Finger zurück, den sie als Lesezeichen verwendete, und legte das Buch weg. »Weißt du, Dave, was ich möchte, ist eigentlich nicht besonders kompliziert. Oder vielleicht doch. Ich dachte, dass wir nach dem Ende deiner Berufstätigkeit zusammen ein ganz anderes Leben entdecken könnten.«
Er lächelte matt. »Das mit dem verdammten Spargel ist wirklich was ganz anderes.«
»Dein Bulldozer ist anders. Und mein Blumengarten ist anders. Nur mit dem ›Leben zusammen‹ haben wir irgendwie
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