Schließe deine Augen
Das Problem sind die anderen drei. Die Eltern haben keine Ahnung, wo sie sind – was an sich nicht viel besagt. Schließlich empfehle ich manchen unserer Absolventinnen ausdrücklich, sich von ihren Eltern zu trennen, wenn die Beziehung zu ihnen in der Vergangenheit vergiftet war. Manchmal ist eine Wiedereingliederung in die eigene Familie nicht ratsam. Die Gründe werden Sie sicher verstehen.«
Fast wäre Gurney entschlüpft, dass er das schon von Savannah erfahren hatte, doch er hielt sich gerade noch zurück.
Ashton fuhr fort. »Das Problem ist, was mir die Eltern erzählt haben. Über die Umstände, unter denen die Mädchen ihr Zuhause verlassen haben.«
»Welche Umstände?«
»Die erste Mutter hat berichtet, dass ihre Tochter nach ihrer Heimkehr von Mapleshade vier Wochen lang ungewöhnlich ruhig war. Dann hat sie eines Abends beim Essen Geld für ein neues Auto verlangt, und zwar siebenundzwanzigtausend Dollar für ein Mazda Cabrio. Natürlich haben die Eltern abgelehnt. Daraufhin hat sie sich beklagt, dass sie sie nicht lieben, hat ihnen auf aggressive Weise sämtliche Traumata ihrer frühen Kindheit vorgeworfen und ihnen das absurde Ultimatum gestellt, nie wieder ein Wort mit ihnen zu reden, falls sie ihr das Geld nicht geben. Als sie sich geweigert haben, hat sie ihre Sachen gepackt und ist mit einem Taxi weggefahren. Danach hat sie noch einmal angerufen und gesagt, dass sie bei einer Freundin wohnt, dass sie Zeit braucht, um Klarheit zu finden, und dass sie jeden Versuch, sie aufzuspüren oder Kontakt mit ihr aufzunehmen, als unerträglichen Angriff auf ihre Privatsphäre werten wird. Danach haben sie nie wieder etwas von ihr gehört.«
»Sie wissen sicher mehr über Ihre ehemaligen Schülerinnen als ich, aber auf den ersten Blick klingt diese Geschichte nicht besonders unwahrscheinlich. Eher wie etwas, was eine labile, verzogene Göre durchaus machen würde.« Gurney hatte frei von der Leber weg gesprochen und fragte sich plötzlich, wie Ashton auf diese Beschreibung einer Mapleshade-Absolventin reagieren würde.
»Ja, genauso klingt es«, erwiderte er. »Eine ›verzogene Göre‹, die mit den Füßen stampft und davonstürmt, um ihre Eltern zu bestrafen. Nicht besonders schockierend, nicht einmal ungewöhnlich.«
»Dann verstehe ich nicht, worauf Sie hinauswollen. Warum sind Sie beunruhigt?«
»Weil mir drei Familien die gleiche Geschichte erzählt haben.«
»Die gleiche Geschichte ?«
»Bis auf die Marke und den Preis des Autos. Statt eines Mazdas für siebenundzwanzigtausend Dollar wollte die Zweite einen BMW für neununddreißigtausend und die Dritte eine Corvette für siebzigtausend.«
»Oh Gott.«
»Verstehen Sie jetzt, warum ich mir Sorgen mache?«
»Auf jeden Fall ist der Zusammenhang rätselhaft. Haben Sie bei den Gesprächen mit den Eltern etwas darüber in Erfahrung gebracht?«
»Nun, das kann unmöglich ein Zufall sein. Mit anderen Worten, es muss sich um eine Verschwörung handeln.«
Gurney sah zwei Möglichkeiten. »Entweder haben sich die Mädchen das ausgedacht, um von zu Hause wegzukommen, allerdings bleibt dann unklar, warum sie den Bruch ausgerechnet auf diese Weise vollziehen wollten. Oder sie sind alle den Anweisungen eines Dritten gefolgt, ohne unbedingt voneinander zu wissen. Aber auch hier ist das Warum die eigentliche Frage.«
»Meinen Sie nicht, dass es bloß eine verrückte Idee war, um die Eltern zum Kauf eines Traumautos zu zwingen?«
»Das bezweifle ich.«
»Aber wenn es eine Geschichte war, die sie sich untereinander oder mithilfe eines unbekannten Dritten – und aus bisher unbekannten Gründen – zurechtgelegt haben, weshalb ist dann jede auf eine andere Automarke verfallen?«
Gurney schoss eine mögliche Antwort durch den Kopf, doch er brauchte Zeit, um genauer darüber nachzudenken. »Wie haben Sie die Mädchen ausgesucht, die Sie telefonisch erreichen wollten?«
»Völlig unsystematisch. Es waren einfach Mädchen aus Jillians Abschlussklasse.«
»Also alle ungefähr im gleichen Alter? Neunzehn oder zwanzig?«
»Ich glaube schon.«
»Ihnen ist doch klar, dass Sie die Anmeldeunterlagen von Mapleshade der Polizei übergeben müssen?«
»Ich fürchte, ich sehe das etwas anders – zumindest fürs Erste. Im Augenblick weiß ich nur, dass drei junge Frauen, alle volljährig, nach einem ähnlichen Streit das Elternhaus verlassen haben. Sicher ist das irgendwie merkwürdig – deswegen habe ich Sie ja auch informiert –, aber bisher gibt es keine
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