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Schlink,Bernhard

Schlink,Bernhard

Titel: Schlink,Bernhard Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sommerlügen
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zu kommen, und jetzt denkst du, ich bin so dumm, dass ich
mir die Wahrheit wieder ausreden lasse? Du Schwätzer, du Ficker, du Dreck, du
...« Sie zitterte vor Empörung.
    Er
setzte sich ihr gegenüber. Er wusste, dass es ihm egal sein sollte, ob Fenster
aufgingen und Leute rausschauten und sie sich zum Gespött machten. Aber es war
ihm nicht egal. Sich anschreien lassen war erniedrigend genug, sich vor anderen
anschreien lassen war doppelt erniedrigend. »Kann ich was sagen?«
    »Kann
ich was sagen?« Sie äffte ihn nach. »Der kleine Bub fragt die Mama, ob er was
sagen darf? Weil die Mama ihn ständig unterdrückt und ihm nicht einmal erlaubt,
was zu sagen? Spiel nicht das Opfer! Übernimm endlich Verantwortung für das,
was du sagst und tust! Du bist ein Lügner und ein Betrüger - steh wenigstens
dazu!«
    »Ich
bin kein...«
    Sie
schlug ihm mit der Hand über den Mund, und weil sie in seinen Augen einen
Abscheu las, der sie erschreckte, schrie sie weiter. Sie beugte sich vor, ihre
Spucke traf ihn ins Gesicht, und dass er zurückwich, machte sie noch wütender
und noch lauter. »Du Dreck, du Arsch, du Nichts! Nein, du kannst nichts sagen.
Wenn du redest, lügst du, und weil ich deine Lügen satthabe, habe ich auch dein
Reden satt. Hast du das verstanden?«
    »Ich...«
    »Hast
du das verstanden?«
    »Es
tut mir leid.«
    »Was
tut dir leid? Dass du ein Lügner und ein Betrüger bist? Dass du mit anderen Frauen...«
    »Ich
habe nichts mit anderen Frauen gehabt. Was mir leidtut, ist...«
    »Fick
dich selbst mit deinen Lügen!« Sie stand auf und ging -
    Zuerst
wollte er ihr folgen, dann blieb er sitzen. Ihm fiel die Autofahrt ein, auf der
ihm eine Freundin eröffnete, dass sie neben ihm noch andere Männer hatte. Sie
fuhren auf einer kurvigen Straße durch das Elsass, und nach ihrer Eröffnung
fuhr er einfach geradeaus weiter, von der Straße auf einen Waldweg, vom Waldweg
durch Gesträuch vor einen Baum. Es passierte nichts, es ging nur nicht weiter.
Er legte die Hände auf das Lenkrad und den Kopf auf die Hände und war traurig.
Er hatte nicht das Bedürfnis, seine Freundin anzugreifen. Er hoffte, dass sie,
was sie getan hatte, ihm so erklären würde, dass er es verstünde. Dass er damit
seinen Frieden machen könnte. Warum ließ Anne sich nichts erklären?
     
    8
     
    Er
stand auf und ging an den Teich. Es begann zu regnen; er hörte die ersten
Tropfen leise ins Wasser klatschen und sah sie die Fläche kräuseln, noch ehe er
sie spürte. Dann war er auch schon nass. Der Regen rauschte in den Platanen und
auf dem Kies, es schüttete, als wolle der Regen alles hinwegwaschen, was
keinen Bestand verdiente.
    Er
wäre gerne mit Anne im Regen gestanden, hätte gerne von hinten die Arme um sie
gelegt und unter den nassen Kleidern ihren Körper gespürt. Wo mochte sie sein?
War sie auch draußen? Genoss sie den Regen ebenso wie er, und verstand sie,
dass ihr dummer Streit keinen Bestand vor ihm hatte? Oder hatte sie eine Taxe
bestellt und packte im Hotel ihre Sachen?
    Nein,
als er ins Hotel kam, waren ihre Sachen noch da. Sie war nicht da. Er zog seine
nassen Kleider aus und legte sich ins Bett. Er wollte wach bleiben, auf sie
warten, mit ihr reden. Aber draußen rauschte der Regen, und er war müde vom
Tag und erschöpft vom Streit und schlief ein. Mitten in der Nacht wachte er
auf. Der Mond schien ins Zimmer. Neben ihm lag Anne. Sie lag auf dem Rücken,
die Arme hinter dem Kopf verschränkt und die Augen offen. Er stützte sich auf
und sah ihr ins Gesicht. Sie sah ihn nicht an. Auch er legte sich auf den
Rücken.
    »Das
Gefühl, dass ich einer Frau nicht widersprechen, ihr nichts abschlagen darf,
dass ich ihr gegenüber aufmerksam und zuvorkommend sein, mit ihr flirten muss -
ich denke, es hat mit meiner Mutter zu tun. Ich habe es immer, und ich verhalte
mich automatisch so, ob mir die Frau gefällt oder nicht, ob ich was von ihr
will oder nicht. Dadurch wecke ich Erwartungen, die ich nicht erfüllen kann;
eine Weile versuche ich's trotzdem, aber dann wird es mir zu viel, und ich
stehle mich davon, oder die Frau wird es leid und zieht sich zurück. Das ist
ein dummes Spiel, und ich sollte lernen, es zu lassen. Sollte ich mit einem
Therapeuten über mich und meine Mutter reden? Wie auch immer - seine Grenze hat
das Spiel nicht erst beim Zusammen-Schlafen, sondern schon bei Zärtlichkeiten.
Vielleicht lege ich den Arm um die Frau oder drücke ihr die Hand, aber das ist
auch alles. Ob auch die Grenze mit meiner Mutter zu

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