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Schlink,Bernhard

Schlink,Bernhard

Titel: Schlink,Bernhard Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sommerlügen
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sich in eine Darstellung seines Lebens in den
letzten Wochen, die übertrieben, aber nicht völlig abwegig war und die nicht zu
glauben Anne keinen Grund und kein Recht hatte. Je länger er redete, desto
sicherer wurde er. War es nicht empörend, dass Anne ohne Grund und Recht ihm
misstraute und an ihm zweifelte? Und war es nicht lächerlich, dass sie ihn
wegen einer Nacht mit einer Frau, mit der er nicht geschlafen und der er sich
nicht einmal wirklich nahe gefühlt hatte, fertigmachte? Fertigmachte in einem
Park, der sommerwarm und abendstill und unter dem Leuchten der ersten Sterne
wie verwunschen lag?
     
    5
     
    Schließlich
ging dem Streit die Kraft aus wie dem Auto das Benzin. Wie das Auto stockte er,
ruckte, stockte wieder und blieb stehen. Die beiden gingen essen und machten
Pläne. Mussten sie die Wochen, die Anne zu ihm kommen konnte, in Frankfurt
verbringen? Konnten sie nicht nach Sizilien oder in die Provence oder in die
Bretagne reisen, dort ein Haus oder eine Wohnung mieten und Tisch an Tisch
schreiben?
    In
der Wohnung nahmen sie die Matratze vom ausgeleierten, durchhängenden Rost,
legten sie auf den Boden und liebten sich. Mitten in der Nacht wachte er von
Annes Weinen auf. Er nahm sie in die Arme. »Anne«, sagte er, »Anne.«
    »Ich
muss die Wahrheit wissen, immer. Ich kann nicht mit Lügen leben. Mein Vater hat
meine Mutter belogen, und er hat sie betrogen, und er hat meinem Bruder und mir
Versprechungen über Versprechungen gemacht, die er nicht gehalten hat. Wenn
ich ihn gefragt habe, warum, wurde er wütend und hat mich angeschrien. Meine
ganze Kindheit hatte ich keinen sicheren Boden unter den Füßen. Du musst mir
die Wahrheit sagen, damit ich sicheren Boden unter den Füßen habe. Verstehst
du das? Verspricht du es mir?«
    Einen
Augenblick lang dachte er daran, Anne die Wahrheit über die Nacht in Brenner's
Park-Hotel zu sagen. Aber was für ein Theater würde das geben! Und würde die
Wahrheit aufwiegen, dass er Anne eine ganze Stunde, ach was, zwei Stunden lang
angelogen hatte? Und würde das späte Bekenntnis der Nacht mit Therese nicht
mehr Gewicht geben, als sie hatte? In Zukunft, ja, in Zukunft würde er Anne
die Wahrheit sagen. Für die Zukunft wollte und konnte er es ihr versprechen.
»Es ist alles gut, Anne. Ich verstehe dich. Du musst nicht mehr weinen. Ich
verspreche dir, die Wahrheit zu sagen.«
     
    6
     
    Drei
Wochen später fuhren sie in die Provence. In Cucuron fanden sie am Marktplatz
ein billiges, altes Hotel, in dem man ihnen das große Zimmer mit großer Loggia
im obersten Stock gerne für vier Wochen überließ. Es gab kein Frühstück und
kein Abendessen und kein Internet, und die Betten wurden nur gelegentlich
gemacht. Aber sie bekamen einen zweiten Tisch und einen zweiten Stuhl und
konnten im Zimmer oder auf der Loggia Tisch an Tisch arbeiten, wie sie es sich
vorgestellt hatten.
    Sie
fingen voller Eifer an. Aber dann schien die Arbeit jeden Tag weniger
drängend, weniger wichtig zu werden. Nicht weil es zu heiß gewesen wäre; die
dicken Wände und dicken Decken des alten Baus hielten das Zimmer und die Loggia
kühl. Die Arbeit - bei ihr an einem Buch über Geschlechterdifferenz und
Äquivalenzrechte und bei ihm an einem Stück über die Finanzkrise - stimmte
einfach nicht. Am rechteckigen, mauergefassten Dorfteich vor der Bar de l'Etang
sitzen, einen Espresso trinken und in die Platanen und aufs Wasser schauen
stimmte. Oder in die Berge fahren. Oder auf einem Weingut neue Rebsorten
kennenlernen. Oder auf dem Friedhof von Lourmarin Blumen auf das Grab von Camus
legen. Oder in Aix durch die Stadt bummeln und sich in der Bibliothek um die
E-Mails kümmern. Ohne E-Mails hätte der Bummel noch besser gestimmt, aber Anne
wartete auf eine Zusage für eine Stelle und er auf einen Auftrag für ein Stück.
    »Es
ist das Licht«, sagte er. »In diesem Licht lässt sich's auf dem Feld oder im
Weinberg oder im Olivenhain arbeiten, und vielleicht lässt sich's sogar
schreiben, aber über die Liebe und das Gebären und Sterben und nicht über
Banken und Börsen.«
    »Das
Licht und der Geruch. Wie intensiv alles riecht! Der Lavendel und die Pinien
und der Fisch und der Käse und die Früchte auf dem Markt. Die Gedanken, die ich
meinen Lesern in die Köpfe bringe - was sind sie gegen diesen Geruch?«
    »Ja«,
lachte er, »aber mit dem Geruch in der Nase will niemand mehr die Welt ändern.
Deine Leser sollen die Welt ändern.«
    »Sollen
sie das?«
    Sie
saßen auf der Loggia, die

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