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Schlink,Bernhard

Schlink,Bernhard

Titel: Schlink,Bernhard Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sommerlügen
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nach
England, wie er gehofft hatte. Immerhin hatte der Produzent ihn eingeladen, zu
dem einen oder anderen der Stoffe, über die sie gesprochen hatten, ein Expose
zu schreiben. War das schon ein Erfolg? Er wusste es nicht, er kannte sich in
der Welt des Films nicht aus. Aber er saß gut gelaunt im Flugzeug und kam gut
gelaunt an.
    Er
sah Anne nicht und rief sie an. Eine Stunde von Oxford nach Heathrow, eine Stunde auf dem Flughafen, eine Stunde zurück - sie
musste einen Aufsatz fertigschreiben und war am Schreibtisch geblieben. Er
wolle doch auch nicht, dass sie den ganzen Abend arbeiten müsse. Nein, das wollte
er nicht.
    Aber
er fand, sie hätte sich früher an den Aufsatz machen können. Er sagte es nicht.
    Das
College hatte ihr eine kleine, zweistöckige Wohnung überlassen. Er hatte einen
Schlüssel, schloss auf und ging hinein. »Anne!« Er stieg die Treppe hoch und
fand sie am Schreibtisch. Sie blieb sitzen, schlang die Arme um seinen Bauch
und lehnte den Kopf an seine Brust. »Gib mir noch eine halbe Stunde. Machen wir
danach einen Spaziergang? Ich bin seit zwei Tagen nicht aus dem Haus gekommen.«
    Er
wusste, dass es bei der halben Stunde nicht bleiben würde, packte aus, richtete
sich ein und machte Notizen über das Gespräch mit dem Produzenten. Als sie
schließlich durch den Park an die Themse spazierten, stand die Sonne schon
tief, leuchtete der Himmel in dunklem Blau, warfen die Bäume lange Schatten auf
den kurzgeschorenen Rasen und hatten die Vögel das Singen bereits eingestellt.
Eine geheimnisvolle Stille lag über dem Park, als sei er aus dem Getriebe der
Welt gefallen.
    Lange
redete keiner von beiden. Dann fragte Anne: »Mit wem warst du in Baden-Baden?«
    Was
fragte sie da? Die Nacht in Baden-Baden, das Telefongespräch am nächsten
Abend, die kleine Lüge, das schlechte Gewissen - er hatte gedacht, es liege
alles hinter ihm.
    »Mit
wem?«
    »Wie
kommst du darauf, dass ich ...«
    »Ich
habe in Brenner's Park-Hotel
angerufen. Ich habe in vielen Hotels angerufen, aber im Brenner's haben sie gefragt, ob sie die Herrschaften wecken sollen.«
    Auf
welcher Seite des Betts hatte das Telefon gestanden?
    Beim
Gedanken, sie hätte sich durchstellen lassen, bekam er Panik. Aber sie hatte
sich nicht durchstellen lassen. Wie redeten sie in Brenner's Park-Hotel? Sollen wir die Herrschaften wecken? »Die
Herrschaften - das sagen die so, ob es um mehrere geht oder nur um einen. Es
ist eine altertümliche Ausdrucksweise, die vornehme Hotels distinguiert
finden. Warum hast du dich nicht in mein Zimmer durchstellen lassen?«
    »Mir
hat's gelangt.«
    Er
legte den Arm um sie. »Unsere sprachlichen Missverständnisse! Erinnerst du
dich noch, wie ich dir geschrieben habe, ich würde gerne mit dir schmusen, und
du dachtest, I wanted to schmooze
with you und wollte dir dummes Gewäsch erzählen? Oder
wie du mir gesagt hast, du kämst in principle zum
Familientreffen, und ich es als grundsätzliche Zusage verstanden habe und du
nur gemeint hast, dass du dir's überlegen willst?«
    »Warum
hast du mir nicht gesagt, dass du in Brenner's Park-Hotel
abgestiegen bist? Ich habe sie gefragt, sie waren voll. Du musst also schon
vorher gebucht haben. Sonst sagst du mir, wo du übernachtest, wenn du es vorher
weißt.«
    »Ich
habe es vergessen. Ich hatte schon vor Wochen gebucht, habe mich am Freitag
einfach ins Auto gesetzt und in Baden-Baden die Unterlagen mit der Adresse und
der Zeit der Vorstellung und der Buchung angeschaut. Weil ich spät dran war,
konnte ich nur noch einchecken und mich umziehen und dich nicht mehr anrufen.
Nach dem Stück und der Feier wollte ich dich nicht aus dem Bett klingeln.«
    »Ein
Zimmer um die vierhundert Euro - das machst du doch sonst nicht.«
    »Brenner's
ist was Besonderes und eine Nacht dort ein alter Traum von mir. Ich ...«
    »Und
dass du diesen alten Traum von dir gebucht hattest, hast du vergessen? Warum
lügst du mich an?«
    »Ich
lüge dich nicht an.« Er erzählte ihr von dem Stress der letzten Wochen. Dass er
auch sonst dies und das vergessen hatte, auch Sachen, die ihm wichtig waren
und die er gerne gemacht hätte.
    Sie
blieb misstrauisch. »Brenner's ist ein alter Traum von dir, und du kommst so
spät an und brichst so früh auf, dass du gar nichts vom Hotel hast? Das macht
doch keinen Sinn.«
    »Nein,
es macht keinen Sinn. Aber ich war auch nicht bei Sinnen in den letzten
Wochen.« Er redete weiter von Stress und Druck, Verträgen und Terminen, Treffen
und Telefonaten. Er redete

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