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Schlink,Bernhard

Schlink,Bernhard

Titel: Schlink,Bernhard Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sommerlügen
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Augen gesehen. Ich kenne den
Blick: zuerst fragend, dann wissend, dann entsetzt. Woher wissen Sie ... Dumme
Frage, am Ende war meine Geschichte in allen Zeitungen und auf allen Kanälen.«
    Ich
sah zu ihm hinüber. Er mochte fünfzig sein, war groß und schlank, hatte ein
angenehmes, intelligentes Gesicht, viel Grau im schwarzen Haar. An der Bar
hatte er keine Geschichte zum Besten gegeben; mir war nur sein weich fallender,
weich knitternder Anzug aufgefallen.
    »Es
tut mir leid« - warum sagte ich, es tut mir leid -, »ich habe Sie nicht
erkannt.« Das Flugzeug hob ab und stieg steil hoch. Ich mag die Minuten, in
denen es den Rücken gegen die Lehne presst und im Bauch zieht und der Körper
spürt, dass er fliegt. Durch das Fenster sah ich auf das Lichtermeer der Stadt.
Dann machte das Flugzeug einen großen Bogen, ich sah nur den Himmel, und
schließlich lag unter mir das Meer, auf dem das Mondlicht glänzte.
    Mein
Nachbar lachte leise. »Immer wieder hat mich jemand angesprochen und habe ich
mich verleugnet. Jetzt wollte ich den Stier bei den Hörnern packen, aber da ist
kein Stier.« Er lachte weiter und stellte sich vor. »Werner Menzel. Auf einen
guten Flug!«
    Beim
Aperitif wechselten wir Belanglosigkeiten, beim Abendessen sahen wir
verschiedene Filme. Nichts bereitete mich darauf vor, dass er sich, als die
Kabinenbeleuchtung ausgeschaltet war, mir zuwandte. »Sind Sie sehr müde? Ich
weiß, dass ich kein Recht habe, Sie zu belästigen, aber wenn ich Ihnen meine
Geschichte erzählen dürfte ... Es wird nicht lange dauern.« Er stockte, lachte
wieder leise. »Doch, es wird lange dauern, aber ich wäre Ihnen sehr dankbar.
Wissen Sie, bisher haben die Medien meine Geschichte erzählt. Aber es war
nicht meine Geschichte, es war ihre. Meine Geschichte gibt es noch nicht. Ich
muss erst lernen, sie zu erzählen. Wie könnte ich es besser lernen, als wenn
ich sie einem erzähle, der noch nichts von ihr gehört hat, dem Fremden in der
Nacht.«
    Ich
gehöre nicht zu denen, die im Flugzeug nicht schlafen können. Aber ich wollte
nicht unfreundlich sein. Außerdem lag in der Art, in der er vom Fremden in der
Nacht sprach, eine ironische Zärtlichkeit, die mich berührte und verführte.
     
    2
     
    »Die
Geschichte fängt vor dem Irakkrieg an. Ich hatte eine Stelle im
Wirtschaftsministerium angetreten und wurde in einen Kreis von jungen Kollegen
aus dem Innenministerium, dem Auswärtigen Amt und der Universität eingeladen.
Ein Lese- und Gesprächskreis - damals wurde in Berlin der Salon wieder Mode.
Wir trafen uns alle vier Wochen um acht, diskutierten, leerten die eine und
andere Flasche Wein, und oft kamen um elf die Freundinnen dazu, auf dem Heimweg
von Arbeit, Konzert oder Theater, mit Spott über unseren Bücherernst und Freude
an unseren ausklingenden Gesprächen. Am Schluss wurde es oft besonders lebendig.
    Manchmal
luden unsere Diplomaten uns zu ihren Empfängen ein, nicht den wichtigen, aber
denen mit ausländischen Dichtern oder Künstlern. Zuerst hielt ich mich mit
meiner Freundin an die Leute, die wir schon kannten. Dann merkten wir, dass die
anderen sich freuten, wenn wir sie ansprachen. Klar, es gab die, die zu
bedeutend waren, als dass wir interessant für sie gewesen wären, und die, die
so taten. Es waren Ausnahmen. Ich hätte es nicht gedacht - auf Empfängen kann
man richtig Spaß haben.
    Ich
hätte merken können... ich habe gemerkt, dass der Attache der kuwaitischen
Botschaft mit meiner Freundin flirtete. Hätte ich deshalb den Kontakt meiden
sollen? Er flirtete spielerisch, er bewunderte mehr ihre Schönheit, als dass er
um sie geworben hätte. So flirte ich auch, wenn mir eine Frau gefällt - um es
sie wissen zu lassen, nicht um sie zu kriegen. Meine Freundin flirtete zurück;
sie hat ihn nicht wirklich ermutigt, sondern ihm einfach ihre Freude über seine
Komplimente gezeigt.«
    Er
hatte sich beim Sprechen auf die Armlehne gestützt. Jetzt lehnte er sich
zurück. »Sie war wunderschön. Wie habe ich ihr blondes Haar geliebt! Seine
hellen und dunklen Strähnen, die Wellen, in denen es auf ihre Schultern fiel,
das Licht, in dem es ihr Gesicht leuchten ließ. >Mein Engel<, hätte ich
ständig sagen mögen, >mein Engel.< Und ihre Gestalt!« Ich hörte ihn
wieder leise lachen. »Sie wissen, wie gehässig Frauen sich selbst betrachten können.
Vielleicht waren ihre Waden tatsächlich ein bisschen plump. Aber ich mochte
sie. Sie gaben ihrer blonden Schönheit Bodenständigkeit. Sie passten dazu, dass
ihr

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