Schlink,Bernhard
geworden.«
13
Er
fuhr auf der Hauptstraße durch die Stadt. Er hätte die Balken und Böcke gerne
unauffällig auf die Stöße zurückgelegt, aber das Stadtfest war vorbei, und die
Stöße waren weggeräumt.
Vom
General Store aus rief er die Telefongesellschaft an und meldete die
beschädigte Leitung. Sie versprach, noch am Nachmittag eine Reparaturmannschaft
zu schicken.
Zu
Hause ging er von Zimmer zu Zimmer. Im Schlafzimmer öffnete er Vorhang und
Fenster, machte das Bett und faltete Nachthemd und Schlafanzug. Bei Kates Arbeitszimmer blieb er in der Tür stehen. Sie hatte aufgeräumt;
der Schreibtisch war bis auf Computer und Drucker und einen Stoß bedruckten
Papiers leer, und die Bücher und Papiere, die auf dem Boden gelegen hatten,
lagen in den Regalen. Es sah aus, als habe sie nicht nur das Buch, sondern auch
einen Abschnitt ihres Lebens abgeschlossen, und er wurde traurig. Ritas Zimmer
duftete nach kleinem Mädchen; er schloss die Augen, schnupperte und roch ihren
Bären, den er nicht waschen durfte, ihr Shampoo, ihren Schweiß. In der Küche
räumte er Geschirr und Töpfe in die Spülmaschine und ließ sonst alles liegen:
den Pullover, als könne Kate jeden Augenblick reinkommen und ihn überziehen,
die Malfarben, als würde Rita sich gleich an den Tisch setzen und weitermalen.
Ihm war kalt, und er stellte die Heizung höher.
Er
trat vor die Tür. Kein Richter würde ihm Rita wegnehmen. Im schlimmsten Fall
würde die richtige Anwältin ihm einen reichlichen Unterhalt verschaffen. Dann
würde er eben alleine mit Rita hier in den Bergen leben. Dann würde Rita eben
mit einer Mutter aufwachsen, die fünf Autostunden entfernt lebte. Kate will
die Sache auf die Spitze treiben? Sie wird schon sehen, was sie davon hat.
Er
sah zum Wald, auf die Wiese mit den Apfelbäumen und den Fliederbüschen, auf den
Teich mit der Trauerweide. Kein gemeinsames Schlittschuhlaufen auf dem
gefrorenen Teich? Kein gemeinsames Schlittenfahren am Hang am anderen Ufer?
Auch wenn Rita emotional ohne ihre Mutter und er finanziell ohne Kate
zurechtkäme - er wollte die Welt nicht verlieren, die sich im Sommer manchmal
angefühlt hatte, als sei sie schon immer seine gewesen und werde immer seine
sein.
Er
würde sich einen Plan überlegen, wie er sein Leben zusammenhalten würde. Wäre
doch gelacht, wenn er das mit seinen guten Karten nicht schaffen würde! Morgen
würde er Rita abholen. In ein paar Tagen würden Rita und er vor dem Krankenhaus
stehen und auf Kate warten. Mit Blumen. Mit einem Schild »Willkommen zu Hause«.
Mit ihrer Liebe.
Er
ging zum Auto, lud die Balken und Böcke ab und trug sie zu dem Platz hinter der
Küche, an dem er das Holz für den Kamin zersägte und zerhackte. Er arbeitete
bis in die Dunkelheit, zog die Nägel aus den Böcken und zersägte und zerhackte
die Balken und Streben zu Scheiten. Im Licht, das aus der Küche auf den Platz
fiel, räumte er das Holz in den Stoß; er trug einen Teil dessen ab, was er
schon für den Winter gelagert hatte, und packte die neuen Scheite dazwischen.
Er
füllte neue und alte Scheite in den Korb und trug ihn zum Kamin. Das Telefon
klingelte; die Telefongesellschaft rief an, die Leitung funktioniere wieder. Er
fragte im Krankenhaus nach und erfuhr, dass Kate und Rita schliefen und er
sich keine Sorgen machen müsse.
Dann
brannte das Feuer. Er setzte sich davor und sah zu, wie die Scheite Feuer
fingen, brannten, glühten und zerfielen. Auf einem blauen Scheit konnte er in
weißer Schrift »Line « lesen, Teil der Aufschrift » Police line do not cross «.
Das Feuer schmolz die Farbe, verwischte die Schrift und zehrte sie auf. So
wollte er in ein paar Wochen mit Kate und Rita vor dem Kamin sitzen. Kate würde
auf einem Scheit »not « oder »do« lesen
und sich an den heutigen Tag erinnern. Sie würde verstehen, wie sehr er sie
liebte, und zu ihm rücken und sich an ihn schmiegen.
Der Fremde in der
Nacht
1
»Sie
haben mich erkannt, nicht wahr?« Kaum hatte er sich neben mich gesetzt, sprach
er mich an. Er war der letzte Passagier; hinter ihm schlossen die Stewardessen
die Türen.
»Wir
haben...« Wir hatten mit anderen Passagieren in der Lounge an der Bar
gestanden. Der Regen schlug gegen die Scheiben, der Flug von New York nach
Frankfurt wurde mehrfach verschoben, und wir vertrieben uns die Zeit und den
Arger mit Champagner und Geschichten von verspäteten Flügen und verpassten
Gelegenheiten.
Er
ließ mich nicht ausreden. »Ich habe es in Ihren
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