Schlink,Bernhard
der Mann ihr gnädig das Auto lässt? Wir fahren jetzt entweder zu dritt, und
ich setze dich bei Jonathan ab, oder ich und Rita fahren alleine.«
»Ich
will dich zur Mutti am Herd machen? Was bin ich, wenn ich nicht einmal der Vati
am Herd bin? Nur ein gescheiterter Schriftsteller? Der auf deine Kosten lebt?
Der sich um die Tochter kümmern, aber nichts bestimmen darf? Kindermädchen und
Putzfrau?«
Kate
hatte sich wieder unter Kontrolle. Sie sah ihn mit gehobener Braue an. »Du
weißt, dass ich nichts von alledem meine. Ich fahre jetzt los - kommst du mit?«
»Du
fährst nicht!«
Aber
sie zog sich und Rita Jacke und Schuhe an und ging zur Tür. Als er den beiden
die Eingangstür verstellte, nahm Kate Rita auf den Arm und ging über die
Veranda. Er zögerte, lief Kate nach, erwischte sie, hielt sie fest. Da fing
Rita an zu weinen, und er ließ los. Er folgte Kate, als sie von der Veranda
über die Wiese zum Auto ging.
»Mach
das bitte nicht!«
Kate
antwortete nicht, setzte sich auf den Fahrer- und Rita auf den Beifahrersitz,
zog die Tür zu und ließ das Auto an.
»Doch
nicht auf den Vordersitz!« Er wollte die Tür öffnen, aber Kate drückte die
Verriegelung. Er schlug gegen die Tür, packte den Griff, wollte das Auto
festhalten. Es fuhr los. Er rannte nebenher, sah, dass Rita sich auf den Vordersitz
kniete und ihn mit tränenüberströmtem Gesicht erschrocken ansah. »Den
Sicherheitsgurt«, rief er, »leg Rita den Sicherheitsgurt an!« Aber Kate
reagierte nicht, das Auto nahm Fahrt auf, und er musste loslassen.
Er
rannte hinter dem Auto her, holte es aber nicht ein. Kate fuhr auf dem
geschotterten Weg nicht schnell und fuhr ihm doch davon, auf jedem Stück Wegs
zwischen zwei Kurven wurde der Abstand größer. Dann war das Auto verschwunden,
und er hörte es weiter und weiter weg.
Er
rannte weiter. Er musste hinter dem Auto herrennen, auch wenn er es nicht mehr
einholen konnte. Er musste rennen, um an seiner Frau, seiner Tochter, seinem
Leben dranzubleiben. Er musste rennen, um nicht in das leere Haus zurückzugehen.
Er musste rennen, um nicht stehen zu bleiben.
Schließlich
konnte er nicht mehr. Er beugte sich vor und stützte die Hände auf die Knie.
Als er wieder ruhiger wurde und nicht mehr nur seinen Atem hörte, hörte er weit
weg das Auto. Er richtete sich auf, konnte es aber nicht sehen. Das ferne
Geräusch blieb, wurde langsam leiser, und er wartete darauf, dass es verlöschen
würde. Stattdessen hörte er ein fernes Krachen. Dann war es still.
Er
rannte wieder los. Er stellte sich das Auto vor, das gegen Balken und Bock
gefahren war oder gegen einen Baum, weil Kate noch das Steuer zur Seite
gerissen hatte, er sah Kates und Ritas blutige Köpfe an der
zerborstenen Windschutzscheibe, Kate, die mit Rita auf dem Arm zur Straße
taumelte, Autos, die achtlos vorbeifuhren, er hörte Rita schreien und Kate
schluchzen. Oder waren beide eingeklemmt und konnten nicht raus, und jeden
Moment entzündete sich das Benzin und explodierte das Auto? Er rannte weiter,
obwohl die Beine ihn nicht mehr tragen wollten und es in Brust und Seite stach.
Dann
sah er das Auto. Gottlob, es brannte nicht. Es war leer, und Kate und Rita
waren nirgends zu sehen, nicht beim Auto und nicht an der Straße. Er wartete,
winkte, wurde aber nicht mitgenommen. Er ging zurück zum Auto, sah, dass es
gegen Balken und Bock gefahren war und dass der Bock sich so mit Stoßstange und
Wagenboden verkeilt hatte, dass es nicht weiterfahren konnte. Die Tür stand
auf, und er setzte sich auf den Fahrersitz. Die Windschutzscheibe war nicht
zerborsten, aber an einer Stelle blutverschmiert, nicht vor dem Fahrer-,
sondern vor dem Beifahrersitz.
Der
Zündschlüssel steckte, aber wenn er das Auto zurücksetzte, schleifte es den
verkeilten Bock mit. Er band den Bock mit dem Seil an einem Baum fest, fuhr
rückwärts und rollte vorwärts, rückwärts und vorwärts, wieder und wieder. Es
kam ihm wie die Strafe für die Zerstörung der Telefonleitung vor, und als der
Wagen sich schließlich vom Bock löste, war er völlig erschöpft, wie damals. Er
legte die Balken und die Böcke auf die Ladefläche und fuhr zum Krankenhaus.
Ja, seine Frau und Tochter waren vor einer halben Stunde hergebracht worden. Er
ließ sich den Weg zeigen.
12
Die
Gänge waren gefälliger, als er es von deutschen Krankenhäusern kannte, breit,
mit Ledersesseln und Blumenarrangements. Im Aufzug verkündete ein Plakat, dass
das Krankenhaus wieder Krankenhaus des Jahres
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