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Schlink,Bernhard

Schlink,Bernhard

Titel: Schlink,Bernhard Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sommerlügen
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sehen. Das Wetter war
schön, Tag um Tag, Kaiserwetter, sagte seine Frau lächelnd, und das Gewitter am
zweiten Abend war ein Kaisergewitter; er saß auf der Veranda und war
überwältigt vom Schwarz der Wolken, den Blitzen und dem Donner und schließlich
dem befreienden Regenguss.
    Selbst
wenn er wieder nur die Zutaten für ein Zutaten-Glück versammelt hatte, selbst
wenn das Glück dieses letzten gemeinsamen Sommers ein Unglück verbarg - was
machte es? Er würde es nicht mehr erfahren.
     
    4
     
    Als
Nacht war und sie im Bett lagen, fragte er seine Frau: »Warst du mit mir
glücklich?«
    »Ich
bin froh, dass wir hier sind. Wir könnten in Norwegen nicht glücklicher sein.«
    »Nein,
ich meine, ob du mit mir glücklich warst.«
    Sie
richtete sich auf und sah ihn an. »Die ganzen Jahre, die wir verheiratet
waren?«
    »Ja.«
    Sie
legte sich wieder zurück. »Ich bin schlecht damit zurechtgekommen, dass du so
viel weg warst. Dass ich oft alleine war. Dass ich die Kinder alleine
aufziehen musste. Als Dagmar mit fünfzehn ausgerissen ist und ein halbes Jahr
wegblieb, warst du zwar da, hast dich aber in deine Verzweiflung verkrochen
und mich alleingelassen. Als Helmut ... Aber was rede ich? Du weißt selbst,
wann es mir besser und wann schlechter ging. Ich weiß es doch auch über dich.
Als die Kinder klein waren und ich wieder in der Schule angefangen habe, bist
du zu kurz gekommen. Du hättest gerne gehabt, wenn ich mehr Anteil an deinem
Beruf genommen hätte. Wenn ich gelesen hätte, was du geschrieben hast. Du
hättest auch gerne öfter mit mir geschlafen.« Sie drehte sich auf die Seite und
kehrte ihm den Rücken. »Ich hätte gerne mehr mit dir gekuschelt.«
    Nach
einer Weile hörte er ihren ruhigen Atem. Hieß das, dass es mehr nicht zu sagen
gab?
    Ihm
tat die linke Hüfte weh. Der Schmerz war nicht stark, aber gleichmäßig und
beständig und fühlte sich an, als wolle er sich einnisten. Oder hatte er sich
schon eingenistet? Taten sich seine linke Hüfte und sein linkes Bein nicht
seit Tagen, nein, seit Wochen beim Treppensteigen schwer? War da nicht schon
lange eine Schwäche, die er nur mit zusätzlicher Kraft und mit stechendem
Schmerz überwand? Er hatte sich nicht darum gekümmert. Wenn er die Treppe
geschafft hatte, war die Schwäche vorbei. Aber darum konnte der stechende
Schmerz beim Treppensteigen doch der Bote des Schmerzes gewesen sein, den er
jetzt spürte und der ihm Angst machte. Hatte das Skelettszintigramm nicht Herde
in der linken Hüfte gezeigt?
    Er
erinnerte sich nicht mehr. Er wollte keiner der Kranken sein, die alles über
ihre Krankheit wissen, die sich im Internet und mit Büchern und in Gesprächen
schlaumachen und ihre Ärzte in Verlegenheit bringen. Linke Hüfte, rechte Hüfte
- er hatte nicht aufgepasst, als der Arzt ihm erklärte, welche Knochen schon
befallen waren. Er hatte sich gesagt, er werde es schon merken.
    Auch
er drehte sich auf die Seite. Tat die linke Hüfte noch weh? War es jetzt die
rechte? Er hörte in sich hinein. Zugleich hörte er durch das offene Fenster
den Wind in den Bäumen und das Bellen der Frösche am See. Er sah Sterne am
Himmel und dachte, dass sie nicht golden sind und nicht prangen, sondern hart
und kalt wie kleine, ferne Neonpunkte leuchten.
    Doch,
die linke Hüfte tat weiter weh. Aber auch die rechte. Wenn er in seine Beine
fühlte, war der Schmerz da, und ebenso wenn er seinen Rücken hinauf und in den
Nacken und in die Arme fühlte. Wo immer er hinfühlte, wartete der Schmerz auf
ihn und sagte ihm, er wohne jetzt hier. Er sei jetzt hier zu Hause.
     
    5
     
    Er
schlief schlecht und stand früh auf. Auf Zehenspitzen ging er zur Tür, öffnete
sie behutsam und schloss sie behutsam. Die Böden, die Treppen, die Türen,
alles knarrte. Er machte in der Küche Tee und nahm die Tasse mit auf die Veranda.
Es wurde hell. Die Vögel lärmten.
    Gelegentlich
ging er seiner Frau beim Kochen oder Tischdecken oder Abwaschen zur Hand.
Alleine hatte er noch keine Mahlzeit auf den Tisch gebracht. Früher fiel, wenn
seine Frau verreisen musste, das Frühstück aus und ging er zum Mittag- und
Abendessen mit den Kindern ins Restaurant. Früher hatte er aber auch keine
Zeit. Jetzt hatte er Zeit.
    Er
fand in der Küche Dr. Oetkers Schulkochbuch und brachte es auf die Veranda. Mit
Hilfe eines Kochbuchs musste sogar er, der Philosoph und Spezialist für
analytische Philosophie, Pfannkuchen zum Frühstück backen können. Sogar er?
Gerade er! »Was sich beschreiben lässt, das

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