Schlink,Bernhard
Aufmerksamkeit und der Vertrautheit ein Versprechen und wusste doch, dass
Barbara ihm nichts versprach. Auch er flüchtete damals in eine heroische
Gleichgültigkeit, in der er nichts glaubte und nichts hoffte und nichts
brauchte. Bis die Sehnsucht ihn wieder überwältigte.
Ihn
erfasste Mitleid mit seinem Enkel - und mit sich selbst. Die Leiden der ersten
Liebe, die Schmerzen des Heranwachsens, die Enttäuschungen des erwachsenen
Lebens - er hätte David gerne etwas Tröstendes oder Ermutigendes gesagt, wusste
aber nicht, was. Konnte er ihm immerhin helfen? Er stand auf und setzte sich
im Schneidersitz zu den beiden auf den Bootssteg.
»Ehrlich,
Großvater, ich hätte dir die Pfannkuchen nicht zugetraut.«
»Ich
habe Spaß am Kochen gekriegt. Helft ihr beiden Großen mir morgen? Ich will
nicht zu ehrgeizig werden, aber Spaghetti Bolognese und Salat sollte ich mit
eurer Hilfe schaffen.«
»Zum
Nachtisch Mousse au
Chocolat?«
»Wenn
sie in Dr. Oetkers Schulkochbuch steht.«
Dann
saßen sie stumm beieinander. Er hatte ihr Gespräch unterbrochen und wusste
nicht, wie er ein Gespräch zu dritt in Gang bringen sollte. »Dann gehe ich mal
wieder. Morgen um elf? Zuerst einkaufen und dann kochen?«
Meike
lachte ihn an. »Cool, Großvater, aber wir sehen uns doch noch.«
Dann
saß er wieder auf dem Sessel. Matthias und Ferdinand hatten ein paar Meter vor
dem Ufer eine flache Stelle im See gefunden, schleppten herbei, was sie an
Steinen fanden, und bauten eine Insel. Er schaute nach der zwölfjährigen
Schwester von David und Matthias aus. »Wo ist Ariane?«
»Auf
deiner Bank.«
Er
stand wieder auf und ging zu seiner Bank. Die linke Hüffe schmerzte. Ariane
las, einen Fuß auf der Bank und das Buch auf dem Knie, hörte ihn kommen und sah
auf. »Ist es okay, dass ich hier sitze?«
»Natürlich.
Kann ich mich dazusetzen?«
Sie
nahm den Fuß von der Bank, schlug das Buch zu und rückte zur Seite. Sie sah,
dass er den Titel las: Wenn
der Postmann zweimal klingelt. »Es stand bei euch im
Regal. Vielleicht ist es nichts für mich. Aber es ist spannend. Ich dachte,
wir machen mehr zusammen. Aber David hat nur Augen für Meike und Meike nur
Augen für David, auch wenn sie so tut, als sei es nicht so, und er es nicht
merkt.«
»Bist
du sicher?«
Sie
sah ihn an, altklug und mitleidig, und nickte. Sie wird eine schöne Frau
werden, dachte er und stellte sich vor, wie sie eines Tages die Brille
abnehmen, das Haar lösen und die Lippen aufwerfen würde. »So ist das also mit
David und Meike. Wollen wir was zusammen machen?«
»Was?«
»Wir
können Kirchen und Schlösser ansehen oder einen Maler besuchen, den ich kenne,
oder einen Kraftfahrzeugmechaniker, in dessen Werkstatt es aussieht wie vor
fünfzig Jahren.«
Sie
dachte nach. Dann stand sie auf. »Gut, besuchen wir den Maler.«
7
Nach
einer Woche wollte seine Frau wissen: »Was ist los? Wenn dieser Sommer stimmt,
haben alle früheren nicht gestimmt, und wenn alle früheren gestimmt haben,
stimmt dieser nicht. Du liest nichts mehr, und du schreibst nichts mehr. Du
ziehst nur noch mit den Enkelkindern herum oder mit den Kindern, und gestern
kommst du in den Garten und willst die Hecke schneiden. Wenn es eine
Gelegenheit gibt, mich anzufassen, fasst du mich an. Wirklich, es ist, als könntest
du deine Hände nicht von mir lassen. Ich will nicht sagen, dass du mich nicht
anfassen kannst. Du kannst...« Sie wurde rot und schüttelte den Kopf.
»Jedenfalls ist alles anders, und ich will wissen, warum.«
Sie
saßen auf der Veranda. Die Kinder und Schwiegerkinder verbrachten den Abend
bei Freunden, und die Enkelkinder lagen im Bett. Er hatte eine Kerze
angezündet, eine Flasche Wein aufgemacht und ihr und sich eingeschenkt.
»Weintrinken
bei Kerzenschein - auch das gab's noch nie.«
»Wird
es nicht Zeit, dass ich damit anfange - damit und mit den Enkelkindern und den
Kindern und der Hecke? Dass ich wieder weiß, wie gut du dich anfühlst?« Er
legte den Arm um sie.
Aber
sie schüttelte ihn ab. »Nein, Thomas Wellmer. So geht das nicht. Ich bin nicht
eine Maschine, die du abstellen und anstellen kannst. Ich hatte mir unsere Ehe
anders vorgestellt, aber anders ging es anscheinend nicht, und so habe ich
mich mit dem eingerichtet, was ging. Ich lasse mich nicht auf eine Laune ein,
auf einen Sommer, der nach wenigen Wochen vorbei ist. Da schneide ich meine
Hecke lieber selbst.«
»Ich
habe vor drei Jahren an der Universität aufgehört. Es tut mir leid, dass ich
Weitere Kostenlose Bücher