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Schlink,Bernhard

Schlink,Bernhard

Titel: Schlink,Bernhard Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sommerlügen
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fuhren, wie sie nicht hätten fahren dürfen - er fand es
eine hübsche Art, einander kennenzulernen. Zwei Jahre lang trafen sie sich,
gingen in die Oper und ins Theater und zum Essen, ein paar Mal verreisten sie
für ein paar Tage, und immer wieder verbrachte sie die Nacht bei ihm oder er
bei ihr. Er fand sie hinreichend schön und hinreichend klug, fasste sie gerne
an und ließ sich gerne von ihr anfassen und dachte, er sei endlich angekommen.
Aber als sie wegen ihres Berufs wegzog, wurde die Beziehung rasch mühsam und
erlosch. Erst jetzt gestand er sich ein, dass er erleichtert war. Dass er schon
die beiden Jahre mühsam gefunden hatte. Dass er off glücklicher gewesen wäre,
wenn er zu Hause geblieben und gelesen und Musik gehört hätte, statt sie zu
treffen. Er hatte sie getroffen, weil er wieder dachte, alle Zutaten des Glücks
seien da und er müsse glücklich sein.
    Wie
war das mit den anderen Frauen in seinem Leben? Mit seiner ersten Liebe? Er war
glücklich, als Barbara, das schönste Mädchen in der Klasse, mit ihm ins Kino
ging, sich von ihm auf ein Eis einladen, nach Hause bringen und unter der Tür
küssen ließ. Er war fünfzehn, es war sein erster Kuss. Ein paar Jahre später
nahm Helena ihn mit ins Bett, und es klappte schon beim ersten Mal, er kam
nicht zu früh, und sie kam auch, und bis zum Morgen gab er ihr, was ein Mann
einer Frau geben kann, er, der Neunzehnjährige, der Zweiunddreißigjährigen. Sie
blieben zusammen, bis sie mit fünfunddreißig einen Rechtsanwalt in London
heiratete, mit dem sie, wie er schließlich erfuhr, seit Jahren verlobt war. Er
machte damals Examen, ein besseres Examen, als er erwartet hatte, wurde
Assistent, schrieb Aufsätze und Bücher und wurde Professor. Er war glücklich -
oder wollte er wieder nur glücklich sein? Dachte er wieder, er müsse glücklich
sein, weil alles stimmte? War das Glück, das er empfand, wieder nur das
Zutaten-Glück? Er hatte sich manchmal gefragt, ob das Leben nicht anderswo
sei, und die Frage verdrängt. Wie er verdrängt hatte, dass es Eitelkeit war,
was ihn Barbara umwerben und Helena bedienen ließ, und dass er den Einsatz im
Dienst der Eitelkeit off anstrengend fand.
    Er
scheute sich, über sein Glück in der Ehe und mit der Familie nachzudenken.
    Er
wollte sich über den blauen Himmel und den blauen See und das Grün der Wiesen
und des Walds freuen. Er liebte die Landschaft nicht wegen der Alpen in der
Ferne, sondern wegen des sanften Schwungs, mit dem die nahen Berge sich hoben
und der See sich zwischen sie bettete. Draußen saßen ein Mädchen und ein Junge
im Boot; er ruderte, und sie ließ die Beine ins Wasser hängen. Die Tropfen,
die vom Ruderblatt fielen, glitzerten in der Sonne, und die leichten Wellen,
die das Boot und die Füße des Mädchens zogen, liefen weit über die glatte
Oberfläche. Die beiden Kinder, es mussten Meike, die älteste Tochter seines
Sohns, und David, der älteste Sohn seiner Tochter, sein, redeten nicht. Seit
das Postauto vorbeigekommen war, hatte nichts mehr die Stille des Morgens
gestört. Seine Frau bereitete im Haus das Frühstück vor; bald würde ein
Enkelkind kommen und ihn holen.
    Dann
dachte er, dass er die Einsicht, wie trügerisch sein Glück gewesen war, nicht
negativ, sondern positiv nehmen sollte. Was konnte es für einen, der aus dem
Leben gehen will, Besseres geben als diese Einsicht? Er wollte gehen, weil die
letzten Monate, die ihm bevorstanden, entsetzlich würden. Nicht dass er keine
Schmerzen ertragen konnte. Erst wenn die Schmerzen unerträglich würden, würde
er gehen.
    Aber
ihm gelang nicht, die Einsicht positiv zu nehmen. Die Idee des gemeinsamen
Sommers, seines letzten Sommers, war die Idee eines letzten gemeinsamen
Glücks. Es hatte nicht viel Überredung gebraucht, dass seine beiden Kinder mit
ihren Familien für vier Wochen ins Haus an den See kamen, aber doch ein
bisschen. Er hatte auch seine Frau ein bisschen überreden müssen; sie wäre
lieber mit ihm nach Norwegen gefahren, von wo ihre Großmutter stammte und wo
sie noch nie gewesen waren. Jetzt hatte er seine Familie beisammen, und auch
sein alter Freund würde für ein paar Tage zu Besuch kommen. Er hatte gedacht,
er hätte das letzte gemeinsame Glück gut vorbereitet. Jetzt fragte er sich, ob
er wieder nur die Zutaten für ein Zutaten-Glück versammelt hatte.
     
    3
     
    »Großvater!«
Er hörte eine Kinderstimme und schnelle Kinderfüße, die über die Straße und die
Wiese zum See liefen. Es war Matthias, der

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