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Schlink,Bernhard

Schlink,Bernhard

Titel: Schlink,Bernhard Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sommerlügen
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kann auch geschehen«, lehrt
Wittgenstein im Tractatus logico philosophicus.
    Aber
es gab im Schulkochbuch keinen Pfannkuchen. Hatte der Pfannkuchen noch einen
anderen Namen? Was sich nicht benennen lässt, lässt sich auch nicht finden. Was
sich nicht finden lässt, lässt sich auch nicht backen.
    Er
fand den Eierkuchen, las, was er zu tun hatte, und rechnete die Zutaten auf n
Personen hoch. Dann machte er sich in der Küche an die Arbeit. Er musste lange
suchen, bis er 688 Gramm Mehl, 11 Eier, einen reichlichen Liter Milch, einen
reichlichen Drittelliter Mineralwasser, ein knappes Pfund Margarine, Zucker und
Salz beisammenhatte. Er ärgerte sich, dass für Zucker und Salz keine Mengen
angegeben waren. Wie sollte er Zucker, wie sollte er Salz an sich durch vier
dividieren und mit elf multiplizieren? Er ärgerte sich auch, dass er keine
Anweisung fand, wie das Eiweiß vom Eigelb zu trennen und steifzuschlagen sei.
Er hätte die Pfann- oder Eierkuchen gerne zart und locker gemacht. Aber er
schaffte das Sieben, Verschlagen und Verrühren, ohne dass Klümpchen entstanden.
    Als
er die Pfanne aus dem Schrank nahm, rutschte sie ihm aus der Hand und fiel
scheppernd auf den steinernen Boden. Er hob sie auf und lauschte ins Haus. Nach
wenigen Sekunden hörte er die Schritte seiner Frau auf der Treppe. Sie kam im
Nachthemd in die Küche und sah sich um.
    Jetzt,
dachte er. Er nahm sie in die Arme. Sie fühlte sich sperrig an. Ich, dachte er,
fühle mich vermutlich auch sperrig an. Wie lange ist es her, dass wir uns das
letzte Mal in die Arme genommen haben? Er hielt sie fest, und sie ergab sich
zwar nicht in die Umarmung, legte aber die Arme um ihn. »Was machst du in der
Küche?«
    »Pfannkuchen
- ich will gerade die Nullnummer backen. Die anderen backe ich, wenn alle am
Frühstückstisch sitzen. Es tut mir leid, dass ich dich geweckt habe.«
    Sie
sah auf den Tisch, auf dem noch Mehl, Eier und Margarine lagen und die
Schüssel mit dem Teig stand. »Du hast das gemacht?«
    »Willst
du die Nullnummer versuchen?« Er ließ seine Frau los, schaltete den Herd ein
und setzte die Pfanne auf die Flamme, sah ins Kochbuch, erhitzte 150 Gramm
Margarine, gab ein wenig Teig in die Pfanne, nahm den halbgebackenen
Pfannkuchen heraus und legte ihn auf einen Teller, erhitzte mehr Margarine, gab
den Pfannkuchen gewendet in die Pfanne und präsentierte ihn schließlich
goldgelb seiner Frau.
    Sie
aß. »Er schmeckt wie ein richtiger Pfannkuchen.«
    »Er
ist ein richtiger Pfannkuchen. Kriege ich einen Kuss?«
    »Einen
Kuss?« Sie sah ihn erstaunt an. Wie lange ist es her, dachte er wieder, dass
wir uns das letzte Mal geküsst haben? Langsam legte sie Gabel und Teller aus
der Hand, kam zu ihm an den Herd, gab ihm einen Kuss auf die Backe und blieb
neben ihm stehen, als wisse sie nicht, was sie jetzt tun solle.
    Dann
stand Meike in der Tür und sah ihre Großeltern fragend an. »Was ist los?«
    »Er
backt Pfannkuchen.«
    »Großvater
backt Pfannkuchen?« Sie mochte es nicht glauben. Aber da waren die Zutaten, die
Schüssel mit Teig, die Pfanne, der halbe Pfannkuchen auf dem Teller und der
Großvater mit Schürze. Meike drehte sich um, rannte die Treppe hoch und klopfte
an die Türen. »Großvater backt Pfannkuchen!«
     
    6
     
    An
diesem Tag zog er sich nicht auf die Bank am See zurück. Er holte einen Sessel
aus dem Bootshaus und setzte sich an den Bootssteg. Er schlug ein Buch auf, las
aber nicht. Er sah den Enkelkindern zu.
    Ja,
David war in Meike verliebt. Wie er sie zu beeindrucken versuchte, wie er sich
bei jeder Haltung und Bewegung um Lässigkeit bemühte, wie er sich vor dem
Kopfsprung mit Überschlag vergewisserte, ob sie zusah, wie er mit den Büchern
angab, die er gelesen, und mit den Filmen, die er gesehen hatte, wie er mit
nihilistischer Gleichgültigkeit über seine Zukunft sprach! Merkte Meike es
nicht, oder spielte sie mit David? Sie schien unbeeindruckt und unbefangen und
schenkte David nicht mehr von ihrer Aufmerksamkeit und Fröhlichkeit als den
anderen.
    Die
Leiden der ersten Liebe! Er sah Davids Unsicherheit und fühlte wieder die
Unsicherheit, die ihn vor mehr als fünfzig Jahren gequält hatte. Auch er wollte
damals alles sein, und manchmal war ihm, als sei er es, und dann wieder, als
sei er nichts. Auch er dachte damals, wenn Barbara sähe, wer er war und wie er
sie liebte, würde sie ihn auch lieben, konnte aber weder zeigen, wer er war,
noch sagen, dass er sie liebte. Auch er suchte damals in jeder kleinen Geste
der

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