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Schloss aus Glas

Schloss aus Glas

Titel: Schloss aus Glas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeanette Walls
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vor meinen Kindern rechtfertigen?«, fragte Dad und erklärte mir dann beim nächsten Atemzug, er hätte sich von einem Freund den Wagen ausgeliehen und müsse tanken, um zu einem Geschäftstermin nach Gary zu fahren. »Ich brauche Geld, um Geld zu verdienen. Ich zahl es dir zurück.« Er blickte mich herausfordernd an, als wollte er sagen, glaubst du mir etwa nicht?
    »Ich muss Rechnungen bezahlen«, sagte ich. Ich hörte, wie meine Stimme schrill wurde, aber ich konnte es nicht verhindern. »Ich muss Kinder satt machen.«
    »Mach dir bloß keine Sorgen wegen Lebensmitteln und Rechnungen«, sagte Dad. »Das ist meine Sache. Klar?«
    Ich steckte die Hand in die Tasche. Ich wusste nicht, ob ich nach Geld greifen oder es beschützen wollte.
    »Hab ich dich je enttäuscht?«, fragte Dad.
    Die Frage hatte ich mindestens schon zweihundert Mal gehört, und ich hatte ihm immer so geantwortet, wie er es hören wollte, weil ich dachte, dass es mein Vertrauen war, das Dad all die Jahre Auftrieb gegeben hatte. Jetzt wollte ich zum ersten Mal ehrlich zu ihm sein, ihm sagen, dass er uns schon oft enttäuscht hatte, aber ich bremste mich. Ich brachte es einfach nicht übers Herz. Und Dad sagte, er würde mich nicht um das Geld bitten, er würde mir sagen, ich solle es ihm geben. Er brauchte es. Ob ich etwa dachte, es wäre gelogen, dass er es mir zurückzahlen würde?
    Ich gab ihm die zwanzig Dollar.
    An dem Samstag sagte Dad zu mir, um mir das Geld zurückzuzahlen, müsse er erst welches verdienen, und er wollte, dass ich mit ihm zu einem Geschäftstermin fuhr. Er sagte, ich solle mir was Hübsches anziehen. Er ging meine Kleider durch, die an meinem Rohr-Schrank hingen, und suchte eins mit blauen Blumen aus, das vorn geknöpft wurde. Er hatte sich einen Wagen ausgeliehen, einen alten erbsengrünen Plymouth mit kaputtem Beifahrerfenster, und wir fuhren durch die Berge zu einem benachbarten Ort, wo wir an einer Straßenkneipe hielten.
    Die Kneipe war dunkel und völlig verräuchert. An den Wänden leuchtete Neonreklame für die Biersorten Pabst Blue Ribbon und Old Milwaukee. Hagere Männer mit faltigen Wangen und Frauen mit dunkelrotem Lippenstift saßen an der Theke. Zwei Typen mit Stahlkappenschuhen spielten Poolbillard.
    Dad und ich setzten uns an die Theke. Dad bestellte für sich und mich ein Budweiser, obwohl ich sagte, dass ich ein Sprite wolle. Nach einer Weile stand er auf, um Billard zu spielen, und kaum hatte er seinen Hocker verlassen, als auch schon ein Mann kam und sich neben mich setzte. Er hatte einen schwarzen Schnurrbart, der sich um seine Mundwinkel bog, und Kohlenstaub unter den Fingernägeln. Er schüttete sich Salz ins Bier, was, wie ich von Dad wusste, einige Männer taten, weil sie gern mehr Schaum hatten.
    »Ich heiße Robbie«, sagte er. »Ist das dein Alter da?« Er deutete auf Dad.
    »Ich bin seine Tochter«, sagte ich.
    Er leckte etwas Schaum von seinem Bier, dann fing er an, mir Fragen zu stellen, und beugte sich dabei dicht zu mir.
    »Wie alt bist du, Mädchen?«
    »Was schätzen Sie?«, fragte ich.
    »Um die siebzehn.«
    Ich lächelte, wobei ich die Hand vor den Mund hielt.
    »Kannst du tanzen?«, fragte er. Ich schüttelte den Kopf. »Klar kannst du das«, sagte er und zog mich vom Hocker. Ich sah zu Dad hinüber, der bloß grinste und winkte.
    Aus der Jukebox tönte Kitty Wells, die von verheirateten Männern und Bardamen sang. Robbie drückte mich eng an sich und legte eine Hand auf meinen unteren Rücken. Wir tanzten noch einen zweiten Song, und als wir uns anschließend wieder auf die Hocker setzten, mit dem Gesicht zum Billardtisch und dem Rücken zur Theke, schlang er seinen Arm um mich. Ich verkrampfte, als ich den Arm spürte, war aber nicht direkt unglücklich. Seit Billy Deel hatte keiner mehr mit mir geflirtet, wenn ich Kenny Hall nicht mitzählte.
    Trotzdem, ich wusste, worauf Robbie es abgesehen hatte. Ich wollte ihm schon erklären, dass ich nicht zu der Sorte Mädchen gehörte, aber dann dachte ich, er würde bloß erwidern, dass ich vorschnelle Schlüsse zog. Er hätte schließlich nur mit mir getanzt und seinen Arm um mich gelegt. Ich fing Dads Blick auf. Ich dachte, er würde gleich rübergestürmt kommen und Robbie eine mit dem Billardstock verpassen, weil der sich bei seiner Tochter Freiheiten erlaubte. Stattdessen rief er ihm zu: »Mach endlich was Nützliches mit deinen Händen, Mann. Komm her und spiel 'ne Runde mit mir.«
    Sie bestellten zwei Whiskey und rieben die Spitze

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