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Schloss aus Glas

Schloss aus Glas

Titel: Schloss aus Glas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeanette Walls
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und dieser Lustmolch ging zurück zum Fernseher, als wäre nichts geschehen.
    Wenn Mr. Becker zum Lunch in den Mountaineer Diner auf der anderen Straßenseite ging, nahm er immer den Schlüssel von der Vitrine mit, in der die Diamantringe lagen. Falls Kundschaft kam und sich die Ringe ansehen wollte, musste ich über die Straße laufen und ihn holen. Einmal vergaß er, den Schlüssel mitzunehmen, und als er wiederkam, zählte er die Ringe demonstrativ vor meinen Augen ab.
    Damit wollte er mir zu verstehen geben, dass er mir nicht im Geringsten über den Weg traute. Einmal, als Mr. Becker aus der Mittagspause zurückgekommen war und ostentativ die Vitrinen überprüfte, wurde ich so wütend, dass ich mich nach irgendetwas in dem verflixten Laden umsah, was zu stehlen sich lohnen würde. Halsketten, Broschen, Banjos -mit nichts von alledem konnte ich was anfangen. Und dann fiel mein Blick auf die Vitrine mit den Armbanduhren.
    Ich hatte mir schon immer eine Uhr gewünscht. Anders als Diamanten waren Uhren nützlich. Sie waren für Leute, die es eilig hatten, Leute mit Terminen und Zeitplänen. Zu diesen Leuten wollte ich gehören. Dutzende Armbanduhren tickten in der Vitrine hinter der Kasse, darunter eine, die es mir besonders angetan hatte. Es gab sie mit vier verschiedenfarbigen Armbändern - schwarz, braun, blau und weiß -, sodass man das Armband passend zur Garderobe wechseln konnte. Sie sollte 29,95 Dollar kosten, zehn Dollar weniger als mein
    Wochenlohn. Aber wenn ich wollte, könnte sie sofort mir gehören, und zwar gratis. Je mehr ich über die Uhr nachdachte, desto mehr zog sie mich an.
    Eines Tages kam die Frau vorbei, die in Mr. Beckers Filiale in Pineville arbeitete. Mr. Becker wollte, dass sie mir ein paar Schönheitstipps gab. Während die Frau, die steifes platinblondes Haar und mit Mascara voll gekleisterte Wimpern hatte, mir ein paar Makeup-Tricks zeigte, sagte sie, ich müsse ja ein Vermögen an Provision kassieren. Als ich fragte, was sie meinte, sagte sie, dass sie zusätzlich zu den vierzig Dollar in der Woche zehn Prozent des Ladenpreises von allem, was sie verkaufte, t rhielt. Manchmal waren ihre Provisionen doppelt so hoch wie ihr Gehalt. »Mädchen, Sozialhilfeempfänger kriegen mehr als vierzig Dollar die Woche«, sagte sie. »Wenn Becker dir keine Provision zahlt, bescheißt er dich.«
    Als ich Mr. Becker auf die Provision ansprach, sagte er, nur Verkäuferinnen würden Provision erhalten und ich wäre bloß eine Aushilfe. Als Mr. Becker am nächsten Tag zum Lunch ging, öffnete ich die Vitrine und nahm die Uhr mit den vier Armbändern heraus. Ich steckte sie in meine Handtasche und arrangierte die übrigen Uhren so, dass die Lücke verschwunden war. Ich hatte schon so oft etwas verkauft, wenn Mr. Becker zu tun hatte. Und da er mir die Provision vorenthalten hatte, nahm ich mir nur, was mir zustand.
    Als Mr. Becker aus der Pause zurückkam, nahm er wie immer die Diamantring-Vitrine unter die Lupe, schenkte aber den Uhren keinerlei Beachtung. Beschwingt und schwindelig ging ich nach Ladenschluss mit der Uhr in der Handtasche nach Hause. Nach dem Abendessen kletterte ich hoch in mein Bett, wo keiner mich sehen konnte, und legte die Uhr mit je einem anderen Armband an, bewegte die Hand und gestikulierte so, wie es meiner Meinung nach reiche Leute taten.
    Die Uhr zur Arbeit anzuziehen kam natürlich nicht in Frage. Da ich Mr. Becker auch in der Stadt über den Weg laufen konnte, nahm ich mir vor, die Uhr bis zum Ferienende nur zu Hause zu tragen. Dann fiel mir ein, dass Brian, Lori, Mom und Dad fragen würden, woher ich die Uhr hatte. Ich bekam auch Angst, dass Mr. Becker vielleicht einen diebischen Zug in meiner Miene entdecken würde. Früher oder später würde er merken, dass eine Uhr fehlte, und mich ins Verhör nehmen, und ich würde überzeugend lügen müssen, was ich nicht gut konnte. Und wenn ich nicht überzeugend war, würde ich ins Erziehungsheim kommen zu Leuten wie Billy Deel, und Mr. Becker hätte die Genugtuung, dass es die ganze Zeit richtig gewesen war, mir nicht zu trauen.
    Diese Genugtuung wollte ich ihm nicht geben. Am nächsten Morgen nahm ich die Uhr aus der Holzkiste, wo ich meine Geode aufbewahrte, steckte sie in meine Handtasche und nahm sie wieder mit in den Laden. Den ganzen Vormittag wartete ich nervös darauf, dass Mr. Becker zum Lunch ging. Als er endlich weg war, öffnete ich die Vitrine, legte die Uhr hinein und arrangierte die anderen Uhren drum herum neu. Ich

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