Schloss aus Glas
so einfach, wie du meinst«, sagte er.
»Ich komm schon klar«, erwiderte ich.
Dad griff in seine Tasche und holte sein Lieblingsklappmesser hervor, das geschwungene mit dem Horngriff und der Klinge aus bläulichem deutschem Stahl.
»Ich habe ein besseres Gefühl, wenn ich weiß, dass du das hier dabeihast.« Er drückte mir das Messer in die Hand.
Der Bus kam und hielt mit zischenden Bremsen vor dem Busbahnhof. Der Fahrer öffnete den Gepäckraum und schob meinen Koffer zu den anderen. Ich umarmte Dad. Als unsere Wangen sich berührten und ich seinen Geruch nach Tabak, Rasierwasser und Whiskey roch, merkte ich, dass er sich für mich rasiert hatte.
»Wenn es nicht so läuft, wie du dir das wünschst, kannst du jederzeit nach Hause kommen«, sagte er. »Ich bin für dich da. Das weißt du doch, oder?«
»Ja.« Ich wusste, dass er für mich da war, auf seine Art. Ich wusste auch, dass ich nie zurückkommen würde.
Im Bus saßen nur ein paar Fahrgäste, daher hatte ich einen schönen Platz am Fenster. Der Fahrer schloss die Tür, und wir fuhren ab. Ich hatte mir fest vorgenommen, mich nicht umzuschauen. Ich wollte nach vorn blicken, in die Richtung, in die ich fuhr, aber dann drehte ich mich doch um.
Dad steckte sich gerade eine Zigarette an. Ich winkte, und er winkte zurück. Dann schob er die Hände in die Taschen. Die Zigarette baumelte ihm vom Mund. Er stand da, mit leicht hängenden Schultern und gequältem Blick. Ich fragte mich, ob er gerade daran denken musste, wie er als Siebzehnjähriger aus Welch weggegangen war, voller Energie und genauso überzeugt wie ich jetzt, dass er nie wiederkommen würde. Ich fragte mich, ob er hoffte, dass seine Lieblings-
tochter wiederkam, oder ob er stattdessen hoffte, dass sie ihr Glück finden möge und anders als er nie wieder nach Hause zurückzukehren brauchte.
Ich steckte eine Hand in die Tasche und berührte den Horngriff des Klappmessers. Ich winkte erneut. Dad stand einfach da. Er wurde kleiner und kleiner, und dann bogen wir um eine Ecke, und er war verschwunden.
IV
NEW YORK
Es dämmerte schon, als ich in der ferne, hinter einer Hügelkette, zum ersten Mal New York erahnen konnte. Ich sah nicht mehr als die Spitzen und die eckigen Dächer von Gebäuden. Und dann waren wir oben auf dem Kamm, und ich erblickte auf der anderen Seite eines breiten Flusses eine große Insel, auf der sich dicht an dicht Wolkenkratzer drängten, deren Scheiben in der untergehenden Sonne wie Feuer glühten.
Mein Herz raste, und meine Hände wurden feucht. Ich ging durch den Gang zur Toilette hinten im Bus und machte mich an dem Metallwaschbecken frisch. Ich inspizierte mein Gesicht im Spiegel und fragte mich, was die New Yorker wohl denken würden, wenn sie mich ansahen. Würden sie eine Landpomeranze sehen, ein großes, linkisches Mädchen, klapperdürr, mit vorstehenden Zähnen? Seit Jahren sagte Dad zu mir, ich hätte eine innere Schönheit. Die meisten Leute sahen die nicht. Auch ich hatte Mühe, sie zu sehen, aber Dad behauptete, er könnte sie ganz deutlich sehen, und das allein zählte. Und ich hoffte, wenn die New Yorker mich anblickten, würden sie das Gleiche sehen wie Dad, was immer das auch war.
Als der Bus am Busbahnhof hielt, holte ich meinen Koffer und ging ins Bahnhofsgebäude hinein. Ich stand in einem Strom vorbeihastender Menschen, sodass ich mir vorkam wie ein Stein in einem rauschenden Bach, und dann hörte ich jemanden meinen Namen rufen. Es war ein blasser Typ mit einer dicken schwarzen Brille, die seine Augen winzig wirken ließen. Er hieß Evan, und er war ein Freund von Lori. Sie musste arbeiten und hatte ihn gebeten, mich abzuholen. Evan bot an, meinen Koffer zu tragen, und ging mit mir hinaus auf die Straße, wo ein einziges lärmendes Chaos herrschte. Menschentrauben warteten dicht gedrängt an Fußgängerampeln, Autos stauten sich, und überall flog Papier herum. Ich folgte ihm mitten hinein.
An der ersten Querstraße setzte Evan meinen Koffer ab.
»Ganz schön schwer«, sagte er. »Was hast du denn da drin?«
»Meine Kohlensammlung.«
Er blickte mich verständnislos an.
»War nur ein Scherz«, sagte ich und gab ihm einen Stups gegen die Schulter. Evan schaltete nicht gerade schnell, aber das fasste ich als gutes Zeichen auf. Es gab keinen Grund, automatisch vor dem Witz und dem Intellekt dieser New Yorker in Ehrfurcht zu erstarren.
Ich nahm meinen Koffer. Evan bestand nicht darauf, dass ich ihn ihm zurückgab. Ja, er wirkte geradezu
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