Schloss aus Glas
untertauchen konnte, und heißes Wasser, das nie ausging.
Es störte mich nicht, dass wir in einem Viertel wohnten, wo es rau zuging - das kannte ich nicht anders. Junge Puerto Ricaner lungerten den ganzen Tag auf der Straße herum, spielten Musik, tanzten, hockten auf verlassenen Autos, lümmelten sich im Eingang zur hoch gelegenen U-Bahn-Station oder vor der Bodega, wo man Zigaretten einzeln kaufen konnte. Ich wurde einige Male überfallen. Falls jemand mich ausrauben wollte, so hatten mir die Leute immer wieder gesagt, sollte ich das Geld widerstandslos herausgeben, statt mein Leben aufs Spiel zu setzen. Aber ich dachte gar nicht daran, mein schwer verdientes Geld einfach so wegzugeben, und ich wollte mir in dem Viertel auch nicht den Ruf einhandeln, ein leichtes Opfer zu sein, also wehrte ich mich jedes Mal. Manchmal gewann ich, manchmal verlor ich. Die besten Chancen hatte ich, wenn ich einen klaren Kopf behielt. Einmal wollte ich gerade in die U-Bahn steigen, als ein Typ versuchte, mir meine Handtasche zu entreißen, aber ich hielt sie fest, und der Riemen riss. Der Bursche fiel auf den Bahnsteig, und als der Zug losfuhr, schaute ich durchs Fenster und winkte ihm spöttisch zu.
Im Herbst fand ich mit Loris Hilfe eine Schule, wo man keinen Unterricht hatte, sondern über die ganze Stadt verteilt Praktika machte. Eins meiner Praktika absolvierte ich beim Phoenix , einer Wochenzeitung, die in einem schäbigen Laden auf der Atlantic Avenue in Brooklyn, nicht weit von der alten ExLax-Fabrik, ihre Redaktion hatte. Der Besitzer, Verleger und Chefredakteur hieß Mike Armstrong. Er sah sich selbst als lästigen Zeitgenossen, der mit seinem Blatt Skandale aufdeckte, und hatte fünf Hypotheken auf sein Stadthaus aufgenommen, um den Phoenix am Leben zu halten. In der Redaktion schrieben alle auf mechanischen Schreibmaschinen mit abgenutzten Farbbändern und vergilbten Tasten. Das »E« auf meiner war kaputt, daher benutzte ich stattdessen das »@«. Wir hatten auch kein Schreibmaschinenpapier und schrieben auf weggeworfenen Pressemitteilungen, die wir aus dem Papierkorb fischten. Mindestens ein Mal im Monat platzte bei irgendeinem der Gehaltsscheck. Ständig kündigten Reporter beim Phoenix , weil sie die unmöglichen Zustände nicht mehr aushielten. Als Mr. Armstrong im Frühjahr mit einer Absolventin von einer Journalistenschule ein Vorstellungsgespräch führte, lief ihr plötzlich eine Maus über den Fuß, und sie kreischte auf. Nachdem sie gegangen war, blickte Mr. Armstrong mich an. Der Planfeststellungsausschuss für Brooklyn tagte am Nachmittag, und er hatte niemanden, der darüber berichtete. »Wenn Sie mich von jetzt an Mike statt Mr. Armstrong nennen«, sagte er, »können Sie den Job haben.«
Ich war gerade erst achtzehn geworden. Gleich am nächsten Tag kündigte ich in dem Hamburger-Laden und wurde Reporterin beim Phoenix. Ich war überglücklich. Ich arbeitete neunzig Stunden die Woche, mein Telefon klingelte ununterbrochen, ich hetzte von einem Termin zum nächsten, kuckte, um bloß nicht zu spät zu kommen, ständig auf meine Rolex, die ich für zehn Dollar auf der Straße gekauft hatte, hetzte zurück in die Redaktion, um meinen Artikel zu schreiben, und blieb dann bis vier Uhr morgens, um selbst noch den Satz zu machen, wenn der Setzer gekündigt hatte. Und ich brachte hundertfünfundzwanzig Dollar die Woche nach Hause. Falls der Scheck nicht platzte.
Ich schrieb Brian lange Briefe, in denen ich das süße Leben in New York schilderte. Er schrieb zurück und erzählte, dass zu Hause alles immer mehr den Bach runterging. Dad war ständig betrunken, wenn er nicht gerade in der Arrestzelle saß, Mom hatte sich völlig in ihre eigene Welt zurückgezogen, und Maureen lebte mehr oder weniger bei den Nachbarn. Die Decke in seinem Zimmer war eingestürzt, und Brian hatte sein Bett auf die Veranda gestellt. Er hatte Bretter an das Geländer genagelt, um Wände zu haben, aber auch da draußen regnete es ziemlich stark durch, sodass er noch immer unter dem Schlauchboot schlief.
Ich sagte zu Lori, ich fände es besser, wenn Brian auch nach New York käme und bei uns wohnte, und sie war einverstanden. Aber ich fürchtete, dass Brian lieber in Welch bleiben wollte. Er war einfach mehr ein Junge vom Lande als ein Stadtmensch. Er streifte gern im Wald herum, bastelte an einem alten Zweitaktmotor, hackte Holz oder schnitzte aus einem Stück einen Tierkopf. Er beklagte sich nie über Welch, und anders als ich hatte
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