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Schloss aus Glas

Schloss aus Glas

Titel: Schloss aus Glas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeanette Walls
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Sir sagen, ansonsten galt für uns nur die Regel, dass wir nach Hause kommen müssten, wenn die Straßenlampen angingen. »Und benutzt euren gesunden Menschenverstand«, sagte Mom. Ihrer Meinung nach war es gut für Kinder, wenn sie machen konnten, was sie wollten, weil sie auf diese Weise viel lernten. Mom gehörte nicht zu den überbesorgten Müttern, die sich aufregten, wenn man schmutzig nach Hause kam oder im Dreck spielte oder hinfiel und sich die Knie aufschlug. Sie sagte, die Menschen sollten sich austoben, wenn sie jung sind. Einmal, als ich bei meiner Freundin Carla spielte und wir über einen Zaun kletterten, riss ich mir an einem alten Nagel den Oberschenkel auf. Carlas Mutter meinte, die Wunde sollte im Krankenhaus genäht werden und ich bräuchte eine Tetanusspritze. »Bloß eine kleine Fleischwunde«, erklärte Mom, nachdem sie den tiefen Riss inspiziert hatte. »Heutzutage rennen die Leute gleich mit jedem Kratzer ins Krankenhaus«, fügte sie hinzu. » Wir werden allmählich ein Volk von Weichlingen.« Und damit schickte sie mich wieder raus zum Spielen.
    Manche von den Steinen, die ich auf unseren Streifzügen durch die Wüste fand, waren so schön, dass ich es nicht übers Herz brachte, sie einfach liegen zu lassen. Also fing ich an, sie zu sammeln. Brian half mir, und zusammen suchten wir Granate und Granitsteine und Obsidian und Crazy-Lace-Achate und immer wieder Türkise. Aus den vielen Türkisen, die wir mit nach Hause brachten, bastelte Dad Halsketten für Mom. Wir entdeckten große Flächen aus Glimmer, den man zu Pulver zerstoßen und dann auf dem ganzen Körper verreiben konnte, sodass man unter der Nevadasonne glitzerte, als wäre man mit Diamanten bestäubt. Oftmals glaubten Brian und ich, wir hätten Gold gefunden, und dann schleppten wir ganze Eimer voll mit schimmernden Nuggets nach Hause, aber es war immer bloß Eisenkies - Narrengold. Einen Teil davon sollten wir behalten, sagte Dad, weil es Narrengold von besonders guter Qualität war.
    Meine Lieblingssteine waren Geoden, die, wie Mom erklärte, aus den Vulkanen stammten, die vor Millionen von Jahren in der Zeit des Miozäns ausgebrochen waren und die
    Tuscarora Mountains gebildet hatten. Von außen sahen Geoden wie ganz gewöhnliche runde Steine aus, aber wenn man sie mit Hammer und Meißel aufknackte, war das Innere hohl, eine Art Höhle, und die Wände waren mit glitzrigen Quarzkristallen oder funkelnden roten Amethysten bedeckt.
    Ich verwahrte meine Steinsammlung hinterm Haus, neben Moms Klavier, das allmählich ein bisschen verwittert aussah, und manchmal nahmen Lori und Brian und ich welche davon, um die Gräber unserer verstorbenen Haustiere oder von Tieren zu schmücken, die wir in der Wüste fanden und die, wie wir meinten, auch eine ordentliche Beerdigung verdient hatten. An manchen Tagen bot ich meine Steine auch zum Verkauf an. Viele Kunden hatte ich allerdings nicht, weil ich für ein Stück Feuerstein mehrere hundert Dollar verlangte. Ehrlich gesagt, war der Einzige, der mir je einen Stein abkaufte, mein Dad. Er kam eines Tages zu mir hinters Haus, die Hosentasche voller Kleingeld, und staunte über die Preisschildchen, die ich an die Steine geheftet hatte.
    »Schätzchen, du könntest ein bisschen mehr Umsatz machen, wenn du mit den Preisen runtergehst«, sagte er.
    Ich erwiderte, dass alle meine Steine unglaublich wertvoll seien und dass ich sie lieber behalten würde als unter Wert verkaufen.
    Dad setzte sein schiefes Grinsen auf. »Hört sich an, als hättest du dir das gut überlegt«, sagte er. Er gestand, dass er für sein Leben gern ein ganz bestimmtes Stück Rosenquarz kaufen würde, aber nicht die sechshundert Dollar hatte, die ich dafür verlangte, also ging ich auf fünfhundert Dollar runter und gewährte ihm Ratenzahlung.
    Brian und ich trieben uns furchtbar gern auf der Müllhalde herum. Zwischen den weggeworfenen Öfen und Klimageräten, den zerbrochenen Möbeln und Stapeln abgefahrener Reifen machten wir uns auf die Suche nach Kostbarkeiten. Wir jagten die Wüstenratten, die in den ausrangierten Autos hausten, oder fingen Kaulquappen und Frösche in dem verdreckten Tümpel. Über unseren Köpfen kreisten Bussarde, und in der Luft wimmelte es von Libellen, die so groß waren wie kleine Vögel. In Battie Mountain gab es praktisch keine Bäume, aber in einer Ecke der Müllhalde lagen riesige Haufen Eisenbahnschwellen und vermodernde Baubretter, wo man herrlich herumklettern und seine Initialen in das Holz

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