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Schloss aus Glas

Schloss aus Glas

Titel: Schloss aus Glas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeanette Walls
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durchfüttere.« Mom erklärte, dass wir den Tieren sogar einen Gefallen damit täten, wenn wir nicht zuließen, dass sie von uns abhängig wurden. So würden sie dann auch allein zurechtkommen, falls wir mal wieder weitermüssten. Mom legte bei allen Lebewesen immer großen Wert auf Unabhängigkeit.
    Mom war auch der festen Überzeugung, dass man der Natur
    ihren Lauf lassen sollte. Sie weigerte sich, die Fliegen zu töten, die sich in Scharen bei uns im Haus tummelten, weil Fliegen, wie sie sagte, die natürliche Nahrung für Vögel und Eidechsen wären. Und Vögel und Eidechsen waren die Nahrung für die Katzen. »Wer Fliegen tötet, bringt Katzen in Not«, sagte sie. Die Fliegen am Leben zu lassen war ihrer Meinung nach so ziemlich dasselbe wie Katzenfutter kaufen. Bloß billiger.
    Einmal, als ich bei meiner Freundin Carla war, fiel mir auf, dass es bei ihr zu Hause keine Fliegen gab. Ich fragte ihre Mutter, wieso.
    Sie zeigte auf ein goldglänzendes Ding, das von der Decke baumelte und das sie stolz als Insektenabwehrstreifen bezeichnete. Sie sagte, die gäbe es an jeder Tankstelle zu kaufen und sie hätten in jedem Zimmer einen hängen. Diese Insektenabwehrstreifen, so erklärte sie, setzten einen Giftstoff frei, der die Fliegen tötete.
    »Und was fressen dann eure Eidechsen?«, fragte ich.
    »Wir haben auch keine Eidechsen«, antwortete sie.
    Ich ging nach Hause und sagte zu meiner Mutter, wir müssten uns einen Insektenabwehrstreifen anschaffen, so wie Carlas Familie, aber sie lehnte ab. »Wenn es die Fliegen umbringt«, sagte sie, »kann es auch für uns nicht gesund sein.«
    Im Winter kaufte Dad einen frisierten alten Ford Fairlane, und als es kälter wurde, verkündete er an einem Wochenende, dass wir zum Hot Pot fahren würden, zum Schwimmen. Der Hot Pot war eine natürliche Schwefelquelle in einer von zerklüfteten Felsen und Treibsand umgebenen Grube nördlich der Stadt in der Wüste. Das Wasser fühlte sich warm an und roch nach faulen Eiern. Es war voller Mineralien, sodass sich am ganzen Rand entlang eine raue, kalkige Kruste gebildet hatte, die blau-grün-weiß gestreift war, das reinste Korallenriff. Dad sagte immer, wir sollten den Hot Pot kaufen und einen Kurort draus machen.
    Je tiefer man ins Wasser ging, desto wärmer wurde es. In der Mitte war es sehr tief. Manche Leute in Battie Mountain
    sagten, der Hot Pot hätte keinen Boden, sondern ginge direkt durch bis zum Mittelpunkt der Erde. Ein paar Mal waren Betrunkene oder wilde Teenager dort beim Baden ertrunken, und im Owl Club erzählte man sich, dass die Leichen regelrecht gekocht gewesen wären, als sie an die Wasseroberfläche trieben.
    Brian und Lori konnten beide schwimmen, aber ich noch nicht. Größere Gewässer machten mir Angst. Sie kamen mir unnatürlich vor, Absonderlichkeiten in den Wüstenstädten, in denen wir bisher gelebt hatten. Einmal hatten wir in einem Motel mit Swimmingpool übernachtet, und ich hatte meinen ganzen Mut zusammengenommen und mich um den ganzen Pool herumgearbeitet, wobei ich mich immer schön am Rand festhielt. Aber der Hot Pot hatte keine ordentlichen Ränder wie der Swimmingpool. Ich konnte mich nirgends festhalten.
    Ich watete bis zu den Schultern hinein. Das Wasser um meinen Körper war warm, und die Steine, auf denen ich stand, fühlten sich so heiß an, dass ich weitergehen wollte. Ich blickte mich zu Dad um, der mir zusah, ohne zu lächeln. Ich wollte weiter ins tiefere Wasser gehen, aber irgendetwas hielt mich zurück. Dad hechtete ins Wasser und kam zu mir geplatscht. »Du wirst heute schwimmen lernen«, sagte er.
    Er legte einen Arm um mich, und wir bewegten uns durch den Teich. Dad zog mich mit. Ich hatte panische Angst und klammerte mich so fest an seinen Hals, dass seine Haut weiß wurde. »Na bitte, das war doch gar nicht so schlimm, oder?«, fragte Dad, als wir auf der anderen Seite ankamen.
    Wir schwammen wieder zurück, aber als wir in der Mitte des Teichs waren, löste Dad mit Gewalt meine Finger von seinem Hals und stieß mich weg. Ich schlug mit den Armen und versank in dem heißen, stinkenden Wasser. Instinktiv atmete ich ein. Wasser drang mir in Nase, Mund und Hals. Meine Lunge schmerzte. Ich hatte die Augen geöffnet, sie brannten von dem Schwefel, aber das Wasser war dunkel, und meine Haare hatten sich mir ums Gesicht geschlungen, und ich konnte nichts sehen. Ein Händepaar fasste mich um die Taille. Dad zog mich ins flache Wasser. Ich spuckte und hustete und schnappte würgend nach

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