Schloss aus Glas
Finger bekam: Charles Dickens, William Faulkner, Henry Miller, Pearl S. Buck. Sie las sogar James Michener - mit schlechtem Gewissen, wie sie sagte, weil sie wusste, dass es keine große Literatur war, aber sie konnte es einfach nicht lassen. Dad las lieber naturwissenschaftliche und mathematische Bücher, Biographien und Geschichte. Wir Kinder verschlangen alles, was Mom von ihrer wöchentlichen Fahrt zur Bücherei mitbrachte.
Brian las dicke Abenteuerromane, solche, die von Typen wie Zane Grey geschrieben wurden. Lori war ganz vernarrt in das clevere Schwein Freddy Findig und in sämtliche Bücher aus der Oz-Reihe. Mir gefielen die Geschichten von Laura Ingalls Wilder und die »Wir-waren-dabei«-Reihe über Kinder, die wichtige historische Momente miterlebten, aber mein allerliebstes Buch war Black Beauty. An diesen Abenden, wenn wir alle gemeinsam lasen, donnerte immer mal wieder direkt vor unserer Haustür ein Zug vorbei, ließ das Haus erbeben und die Fenster klirren. Das Geräusch war beängstigend, aber nachdem wir eine Weile dort gewohnt hatten, hörten wir es gar nicht mehr.
Mom und Dad meldeten uns an der Mary-S.-Black-Grundschule an: ein lang gezogenes Gebäude mit einem asphaltierten Schulhof, der in der heißen Sonne klebrig wurde. In meiner Klasse waren Kinder von Bergarbeitern und Glücksspielern. Sie hatten aufgeschürfte Knie, waren staut ig vom Spielen in der Wüste und trugen schiefe Ponyfrisuren Marke Eigenschnitt. Unsere Lehrerin, Miss Rice, war eine kleine, verkniffene Frau, die zu Wutanfällen und heftigen Attacken mit ihrem Lineal neigte.
Mom und Dad hatten mir schon so ziemlich alles beigebracht, was Miss Rice unterrichtete. Da ich von den anderen Kindern gemocht werden wollte, hob ich nicht ständig die Hand, wie ich das in Blythe getan hatte. Dad warf mir vor, ich würde mich nicht anstrengen. Manchmal zwang er mich, meine Rechenhausaufgaben in binären Zahlen zu machen, weil ich gefordert werden müsste, wie er sagte. Vor dem Unterricht musste ich sie dann wieder in Dezimalzahlen umschreiben, aber eines Tages fand ich nicht mehr die Zeit dazu - also gab ich die Hausaufgaben in der binären Fassung ab.
»Was ist denn das?«, fragte Miss Rice. Sie presste die Lippen aufeinander, während sie die Nullen und Einsen auf meinem Blatt studierte, dann musterte sie mich argwöhnisch. »Soll das ein Witz sein?«
Ich versuchte ihr das mit den binären Zahlen zu erklären, dass sie das System bildeten, mit dem Computer arbeiteten, und dass mein Dad meinte, sie wären anderen numerischen Systemen weit überlegen. Miss Rice starrte mich an.
»Die Aufgabe lautete anders«, sagte sie ungeduldig. Sie ließ mich nachsitzen und die Hausaufgaben neu machen. Ich erzählte Dad nichts davon, weil ich wusste, dass er in die Schule gehen und mit Miss Rice über die Vorzüge verschiedener Zahlensysteme diskutieren würde.
In unserem Viertel, das Gleisviertel genannt wurde, wohnten viele Kinder, und nach der Schule spielten wir manchmal alle zusammen. Wir spielten »Wer hat Angst vorm schwarzen Mann«, Fangen, Football, »Räuber und Gendarm« oder einfach irgendwelche anderen namenlosen Spiele, bei denen man viel laufen musste, mit seiner Bande herumstromerte und nicht weinen durfte, wenn man hinfiel. Alle Familien im Gleisviertel waren knapp bei Kasse. Manche knapper als andere, aber wir Kinder waren alle mager und sonnenverbrannt und trugen verwaschene kurze Hosen und zerlumpte T-Shirts und Turnschuhe mit Löchern drin oder gar keine Schuhe. Unsere Fußsohlen waren so schwielig, dass wir ohne mit der Wimper zu zucken über den heißen Sand gehen oder auf spitze Steine treten konnten.
Am wichtigsten war für uns, wer am schnellsten laufen konnte und wessen Daddy kein Schwächling war. Mein Dad war nicht nur kein Schwächling, sondern er kam sogar nach draußen, um mit unserer Bande zu spielen, rannte mit uns mit, warf uns in die Luft und machte Ringkämpfe gegen uns alle gleichzeitig, ohne sich wehzutun. Manchmal klopften Kinder vom Gleisviertel an unsere Tür, und wenn ich aufmachte, fragten sie: »Kann dein Dad rauskommen und mit uns spielen?«
Lori, Brian und ich und sogar Maureen konnten so ziemlich alles tun und lassen, was wir wollten. Mom fand, dass Kinder nicht mit zu vielen Regeln und Vorschriften belastet werden sollten. Dad schlug uns mit seinem Gürtel, aber niemals aus Wut und nur dann, wenn wir Widerworte gaben oder nicht gehorchten, was selten vorkam. Zu Erwachsenen müssten wir Ma'am und
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