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Schloss aus Glas

Schloss aus Glas

Titel: Schloss aus Glas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeanette Walls
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gemütlich, blickte ab und zu auf und entschuldigte sich, sie wisse ja, dass sie eigentlich was Produktiveres machen sollte, aber genau wie Dad habe sie nun mal ihre Süchte und eine davon sei Lesen.
    Wir lasen alle, aber nie wieder stellte sich für mich so ein Gemeinschaftserlebnis ein wie früher in Battie Mountain, wenn wir im Bahnhof alle zusammengesessen hatten mit unseren Büchern. In Welch las abends jeder für sich. Jeder verkroch sich in einen anderen Winkel des Hauses. Sobald es dunkel wurde, lagen wir Kinder in unseren Betten aus Seilen und Pappkarton und lasen mit einer Taschenlampe oder einer Kerze, die wir auf unsere Holzkistchen gestellt hatten, jeder in seinem eigenen kleinen, dämmrigen Lichtkegel.
    Lori war die größte Leseratte von uns. Sie war begeistert von Science-Fiction- und Fantasy-Romanen, vor allem von Der Herr der Ringe. Wenn sie nicht gerade las, malte sie Orks und Hobbits, und sie versuchte die ganze Familie dazu zu bringen, diese Bücher ebenfalls zu lesen. »Sie versetzen dich in eine andere Welt«, sagte sie.
    Ich wollte mich nicht in eine andere Welt versetzen lassen. Meine Lieblingsbücher handelten alle von Menschen, die es nicht leicht im Leben hatten. Ich liebte Früchte des Zorns, Herr der Fliegen und besonders Ein Baum wächst in Brooklyn. Ich fand, dass Francie Nolan und ich praktisch identisch waren, nur dass sie fünfzig Jahre früher in Brooklyn gelebt hatte und ihre Mutter den Haushalt immer in Schuss hielt. Francie Nolans Vater erinnerte mich auf jeden Fall an Dad. Wenn Francie das Gute in ihrem Vater sah, auch wenn die meisten Leute ihn für faul und versoffen hielten, dann war es vielleicht doch nicht ganz so idiotisch von mir, dass ich an meinen glaubte. Oder es jedenfalls versuchte. Es fiel mir immer schwerer.
    Eines Nachts in diesem Sommer, als ich im Bett lag und alle anderen schon schliefen, hörte ich, wie die Haustür aufging und jemand fluchend im Dunkeln herumstolperte. Dad war nach Hause gekommen. Ich ging ins Wohnzimmer, wo er am Zeichentisch saß. Mondlicht fiel durchs Fenster, und ich sah, dass sein Gesicht und seine Haare blutverschmiert waren. Ich fragte ihn, was passiert war.
    »Ich hab mich mit einem Berg angelegt«, sagte er, »und der Berg hat gewonnen.«
    Ich sah zu Mom hinüber, die auf dem Sofa schlief, den Kopf unter einem Kissen vergraben. Sie hatte einen tiefen Schlaf und rührte sich nicht. Als ich die Kerosinlampe anzündete, sah ich, dass Dad einen klaffenden Riss am rechten Unterarm hatte und am Kopf eine so tiefe Wunde, dass ich das Weiße seines Schädelknochens sehen konnte. Ich nahm einen Zahnstocher und eine Pinzette und entfernte die
    Schottersteinchen aus der Verletzung am Arm. Dad verzog keine Miene, als ich Jod auf die Wunde goss. Wegen der vielen Haare konnte ich ihm keinen Kopfverband anlegen und sagte, ich müsste den Bereich um die Wunde herum rasieren. »Von wegen, Schätzchen, dann wäre mein Image hin«, sagte er. »Ein Kerl in meiner Position muss vorzeigbar sein.«
    Dad inspizierte den Riss in seinem Unterarm. Er wickelte sich eine Aderpresse straff um den Oberarm und sagte, ich solle Moms Nähkästchen holen. Er suchte darin nach Seidengarn, doch als er keins fand, sagte er, Baumwolle täte es auch. Er fädelte das schwarze Garn in eine Nadel, reichte sie mir und deutete auf den Riss. »Zunähen«, sagte er.
    »Dad! Das kann ich nicht.«
    »Ach, das schaffst du schon, Schätzchen«, sagte er. »Ich würde es ja selbst machen, aber mit der linken Hand krieg ich nun mal nichts auf die Reihe.« Er lächelte. »Mach dir um mich keine Sorgen. Ich bin so blau, ich spür nicht die Bohne.«
    Dad steckte sich eine Zigarette an und legte den Arm auf den Tisch.
    »Na los«, sagte er.
    Ich drückte die Nadel auf Dads Haut und schauderte.
    »Na los doch«, sagte er wieder.
    Ich drückte die Nadel tiefer und spürte ein leichtes Ziehen, als sie die Haut durchbohrte. Ich hätte am liebsten die Augen geschlossen, aber ich musste ja was sehen. Ich drückte ein bisschen fester und spürte den Widerstand von Dads Muskeln. Es war, als würde ich Fleisch nähen. Aber ich nähte ja tatsächlich Fleisch.
    »Ich kann das nicht, Dad, tut mir Leid, ich kann es wirklich nicht«, sagte ich.
    »Dann machen wir es zusammen«, sagte Dad.
    Mit der linken Hand führte er meine Finger, als sie die Nadel ganz durch seine Haut und zur anderen Seite wieder herausschoben. Ein paar Tröpfchen Blut erschienen. Ich zog die Nadel heraus und straffte den Faden

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