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Schloss aus Glas

Schloss aus Glas

Titel: Schloss aus Glas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeanette Walls
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mit einem sanften Ruck. Ich band die beiden Enden des Fadens zusammen, wie Dad es mir sagte, und dann kam der zweite Stich. Der Riss war ziemlich groß und hätte gut und gern noch ein paar Stiche mehr gebrauchen können, aber ich brachte es nicht fertig, die Nadel noch öfter in Dads Arm zu bohren.
    Wir blickten gemeinsam auf die beiden dunklen, etwas schlampigen Stiche.
    »Das hast du toll gemacht«, sagte Dad. »Ich bin mächtig stolz auf dich, Bergziege.«
    Als ich am nächsten Morgen aus dem Haus ging, schlief Dad noch. Als ich abends nach Hause kam, war er fort.
    Dad hatte sich angewöhnt, manchmal für mehrere Tage zu verschwinden. Wenn ich ihn fragte, wo er war, fielen seine Erklärungen entweder vage aus oder klangen so unwahrscheinlich, dass ich irgendwann gar nicht mehr fragte. Wenn er wiederkam, hatte er meistens auf jedem Arm eine Tüte mit Lebensmitteln. Dann verschlangen wir Schinkensandwiches mit dicken Zwiebelscheiben darauf, während er uns erzählte, wie es mit seinen Ermittlungen in der Gewerkschaftssache voranging und was er sich wieder Neues überlegt hatte, um an Geld zu kommen. Ihm wurden dauernd Jobs angeboten, erklärte er, aber abhängige Arbeit interessierte ihn nicht mehr. Er hatte keine Lust, rumkommandiert zu werden, keine Lust auf Schleimerei und Arschkriecherei. »Wenn du für einen Boss arbeitest, kannst du kein Vermögen machen«, sagte er. Er war fest entschlossen, reich zu werden. In West Virginia gab es zwar kein Gold, aber tausend andere Möglichkeiten, zu einem Haufen Geld zu kommen. Er tüftelte zum Beispiel an einer neuen Technik herum, wie Kohle sich besser verbrennen ließe. Dann würde es sich lohnen, auch noch die minderwertigste Kohle abzubauen und zu verkaufen. Es gäbe einen großen Markt dafür, versicherte er, und er würde uns reicher machen, als wir es uns erträumen könnten.
    Ich hörte mir Dads Pläne an und ermunterte ihn, weil ich hoffte, dass er die Wahrheit sagte, aber im Grunde glaubte ich ihm nicht. Wir würden weiterhin Geld - und damit etwas zu essen - haben, wenn Dad mal wieder einen Job ergatterte oder Mom einen Scheck von der Ölfirma für die Bohrrechte auf dem Stück Land in Texas erhielt, das sie von Grandma Smith geerbt hatte - mit einem von den Schecks hatten wir das Oldsmobile als Sparschweinangebot gekauft. Mom rückte nie so richtig mit der Sprache heraus, wie groß das Stück Land war und wo genau es lag, und auch ein Verkauf kam für sie nicht in Frage. Wir wussten lediglich, dass alle zwei Monate der Scheck eintraf und wir dann mehrere Tage hintereinander reichlich zu essen hatten.
    Wenn der Strom eingeschaltet war, aßen wir überwiegend Bohnen. Ein großer Beutel Pintobohnen kostete weniger als einen Dollar und reichte für einige Tage. Mom kochte immer gleich einen Riesentopf voll, und sie schmeckten besonders lecker, wenn man einen Löffel Mayonnaise untermischte. Wir aßen auch jede Menge Reis mit Räuchermakrele, was, wie Mom sagte, ausgezeichnete Nahrung fürs Gehirn war. Räuchermakrele war zwar nicht so gut wie Thunfisch, aber immer noch besser als Katzenfutter, das wir hin und wieder aßen, wenn es richtig knapp wurde. Manchmal machte Mom zum Abendessen eine große Portion Popcorn. Popcorn habe viele Ballaststoffe, sagte sie, und wir mussten immer ordentlich Salz darüber streuen, weil das Jod verhinderte, dass wir einen Kropf bekämen. »Meine Kinder sollen schließlich nicht aussehen wie Pelikane«, sagte sie.
    Einmal, als ein besonders dicker Scheck eintraf, kaufte Mom einen ganzen Schinken. Wir schnitten dicke Scheiben für Sandwiches ab und aßen mehrere Tage davon. Da wir keinen Kühlschrank hatten, bewahrten wir den Schinken auf einem Küchenregal auf, und nachdem er schon eine Weile dort gelegen hatte und ich mir wieder mal eine Scheibe abschneiden wollte, sah ich, dass er von kleinen weißen Würmern wimmelte.
    Mom saß auf dem Schlafsofa und aß gerade das Stück Schinken, das sie sich abgeschnitten hatte. »Mom, der Schinken ist voller Maden«, sagte ich.
    »Hab dich nicht so«, erwiderte sie. »Schneid einfach die Stellen mit dem madigen Teil ab. Innen ist er tadellos.«
    Brian und ich wurden hervorragende Nahrungsbeschaffer. Im Sommer und Herbst pflückten wir Holzäpfel, Brombeeren und Papau-Früchte und stibitzten dem alten Wilson Maiskolben von den Feldern. Der Mais war zäh - der alte Wilson fütterte damit sein Vieh -, aber wenn man lange genug kaute, kriegte man ihn runter. Einmal fingen wir eine verletzte

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