Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schloss der Engel: Roman (German Edition)

Schloss der Engel: Roman (German Edition)

Titel: Schloss der Engel: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Itterheim , Jessica Itterheim
Vom Netzwerk:
Venedig.Wenn du willst, kannst du gern mitkommen. Er hat genügend Platz und freut sich immer über Gäste«, mischte Raffael sich ein.
    Juliane wurde ein wenig blasser: Sie himmelte ihn immer noch an, wenn auch deutlich zurückhaltender. Mir hingegen wurde wärmer. Raffael war süß – eigentlich eher heiß! –, aber die Ferien bei ihm verbringen? Ich kannte ihn erst seit drei Wochen, und auch wenn Venedig verlockend klang, fühlte es sich irgendwie nicht richtig an – im Augenblick zumindest. Also lehnte ich ab. Raffael lächelte nur und versprach, sein Angebot zu wiederholen.
    Auch in der folgenden Nacht litt ich unter Schlaflosigkeit. Nach dem berauschenden Kuss erwachte ich in einem Wald. Ein leises Schluchzen führte mich zu einem Mädchen mit langen, blonden Haaren. In sich zusammengesunken saß die junge Frau an einem aus riesigen Findlingen errichteten Steingrab und weinte. Ihr Anblick schnürte mein Herz zusammen, bis ich kaum noch Luft bekam und schließlich nach Atem ringend aus meinem Traum erwachte.
    Natürlich entgingen Marisa meine Gähnanfälle beim Sonntagsbrunch nicht.
    »Hattest du heute schon einen Spiegel vor den Augen? Du bist noch weißer als gestern! Bis zur Leichenblässe fehlt nicht mehr viel.«
    Wie gewöhnlich versuchte ich, mich herauszureden. Aber Marisa ließ nicht locker. Sie drängte mich auf ihr Zimmer und redete so lange auf mich ein, bis ich ihr schließlich von meiner Eis-Fata-Morgana erzählte. Bis zu meinen Träumen kam ich nicht. Die Pupillen in Marisas wasserblauen Augen hatten sich schon bei meiner Schlittschuhstory zu riesigen schwarzen Scheiben erweitert.
    »Du hast was? Ein Mädchen im Eis gesehen? Das ... das hört sich gruselig an, vor allem wenn man bedenkt, dass ...« Sie brachab, mit Tränen in den Augen. »Su war meine beste Freundin. Vor den Weihnachtsferien ist sie durchs Eis gebrochen.«
    Marisa holte tief Luft, bevor sie fortfuhr, und wischte sich die Tränen aus den Augen. »Alle haben sie gemocht – selbst Hannah. Susan war ein ganz außergewöhnlicher Mensch. Liebenswürdig, hilfsbereit. Die ganze Schule war wie gelähmt, als wir von ihrem ... Unfall erfuhren.«
    Neue Tränen liefen über Marisas Gesicht – mir sackte das Blut in die Beine.
    Besorgt legte mir Marisa ihre Hand auf den Arm. »Du wirst mir doch nicht etwa umkippen?«
    Ich riss mich zusammen. Ich musste die nächste Frage stellen, obwohl ich mich vor der Antwort fürchtete. »Ist ... ist sie nachts verunglückt?«
    »Ja, warum?«
    Marisa hatte sich wieder ein wenig unter Kontrolle und wartete auf meine Antwort. Ich hingegen fühlte das eisige Wasser, das mich verschlang.
    »Lynn, was ist los?« Marisa versuchte, mich zu beruhigen. »Du musst dich nicht schlecht fühlen, weil du ihren Platz bekommen hast. Niemand trägt die Schuld an ihrem Tod.«
    Marisa redete unentwegt weiter, teils um mich, teils um sich selbst abzulenken. Ich jedoch verfolgte nur noch einen Gedanken: Sah ich in meinen Träumen, was mit mir hätte passieren können, oder erlebte ich den Tod meiner Vorgängerin?
    Die Nacht wurde schrecklich. Verzweifelt bemühte ich mich, einen Blick auf mein Traumbild zu ergattern. Auf die Hände oder irgendetwas, das mir die Gewissheit gab, dass mein Unterbewusstsein mit dem Traum versuchte, mein eigenes Eiserlebnis zu verarbeiten.
    Sosehr ich mich auch anstrengte, es gelang mir nicht, die Szene auf dem See von einem anderen Standpunkt aus zu betrachten. Ich schien das schlitternde Mädchen zu sein, das aufdem See herumwirbelte. Auch ein Blick auf die matte Eisfläche verriet nichts von meinem Ebenbild. Ich war so sehr in den Versuch vertieft, mich zu entdecken, dass mir beinahe der einzig mögliche Moment entging. Kurz bevor ich in das Wasser eintauchte, sah ich ein Gesicht auf der dunklen Oberfläche – und es war nicht meines! Es glich dem Mädchen aus dem Wald.
    Sobald der Schulbereich geöffnet wurde, eilte ich zum Sekretariat. Im Flur hingen die Jahrgangsbilder sämtlicher Internatsschüler. Ich benötigte eine Weile, bis ich ihr Gesicht entdeckte, doch es bestand kein Zweifel: Es handelte sich um das Mädchen aus meinem Traum. Um das Mädchen, das im eisigen See ertrank und von ihm gerettet wurde.
    Ich zählte bis zehn und dann noch mal bis zehn. Mein Kreislauf spielte mal wieder verrückt, aber ich schaffte es, aufrecht stehen zu bleiben und die bedrohliche Welle, die meinen Körper in die Knie zwingen wollte, abzuwehren. Dann nahm ich meinen ganzen Mut zusammen und betrachtete

Weitere Kostenlose Bücher