Schloss der Engel: Roman (German Edition)
unten. Trieb das Kanu voran, so schnell ich konnte.
Das Boot begann zu schlingern. Meine Bewegungen wurden hektisch. Unüberlegt. Das Paddel verfing sich. Meine Arme wurden nach hinten gerissen, und ich geriet aus dem Gleichgewicht.
Wasser schwappte über den Bug. Etwas durchstieß die Oberfläche. Das Kanu schwankte. Kippte. Ich schrie. Schleimiges Grün umklammerte meine Hände, verschloss mir den Mund und zog mich hinab in die Finsternis. Ich glaubte zu ersticken – mein Albtraum kehrte zurück!
Kapitel 25
Das Reich der Wächterin
H elle Lichtpunkte wanderten näher und verwandelten sich in bedrohlich funkelnde Schlitze – unter ihnen die glühenden Augen der Totenwächterin. Sie starrte durch die wabernde Pflanzenwelt und nahm mich mit ihrem Blick gefangen.
Eisige Kälte lähmte meinen Körper, hämmernde Kopfschmerzen lähmten meinen Verstand. Die Wächterin zog mich in ihren Bann. Ich wehrte mich gegen den Zugriff und beschwor Christophers Bild vor meine Augen: seine Engelsgestalt, mit der er die Totenwächterin vertrieben hatte.
Die Erinnerung wärmte mich und gab mir die Kraft, der Wächterin zu widerstehen. Die Fesseln, die meine Arme umschlangen, gaben nach. Ich bewegte mich in Zeitlupe, damit sie nicht wieder erwachten, obwohl alles in mir drängte, von hier zu verschwinden.
Lynn! Warum widersetzt du dich? Du wurdest mir versprochen, und dieses Mal wird dir niemand zu Hilfe eilen. Engeln ist der Zutritt zu meinem Reich verboten!
Die Stimme der Totenwächterin dröhnte bösartig in meinem Kopf. Ich ignorierte sie, dachte an Christopher und schwebte langsam nach oben.
Ein Fischschwarm versperrte mir den Weg. Zahnbesetzte Mäuler trieben mich zurück. Also änderte ich meinen Kurs, tauchte unter den Schwarm und dann senkrecht nach oben – mitten hinein. Was waren schon ein paar Bisswunden angesichts der Totenwächterin? Als nadelspitze Dornen mein Fleisch durchbohrten, biss ich die Zähne zusammen und kämpfte michweiter, zwischen den Fischleibern hindurch. Sie ließen nicht von mir ab. Ich war die Beute – der Honigtopf.
Meine Lungen brannten, meine Beine wurden schwer. Zu viele Fische. Ihr Gewicht zog mich hinab. Zur Totenwächterin. Sie erwartete mich inmitten eines wabernden Pflanzenfeldes. Ein Lächeln umspielte ihre Lippen. Sie hatte gewonnen und spürte, dass ich es wusste. Ein paar Sekunden noch, vielleicht Minuten, und ich würde sterben und meine Seele an sie verlieren.
O nein! Das würde mir den ganzen Spaß verderben. DICH will ich lebend! Wieder sprach die Wächterin direkt in meinem Kopf. Komm und lerne mein Reich kennen. Es wird dir gefallen.
Ihre dürren Finger forderten mich auf, ihre Hand zu nehmen. Natürlich lehnte ich ab. Und wenn ich mich weigere?!
Wie könntest du? Schau dich um. Die Fimonen folgen mir aufs Wort. Ein Befehl und sie nehmen dich wieder gefangen.
Ich unterdrückte das Zittern, das beim Gedanken an die spitzen Zähne meinen Körper durchzog. Trotz der einschüchternden Warnung fiel mir der Widerspruch auf: Warum wollte sie, dass ich ihre Hand nahm, wenn ihre Fische mich in ihr Reich zwingen konnten?
Und dann? Beißen sich die Fimonen an mir fest und sehen zu, wie ich ertrinke?
Das wirst du nicht. In meinem Reich kannst du atmen.
Doch dort war ich nicht – noch nicht. Meine Lungen lieferten den eindeutigen Beweis, dass mir nicht mehr viel Zeit blieb. Die Wächterin wollte mich lebendig – was mich hoffen ließ –, aber ein Leben war kostbar.
Was gibst du mir, damit ich mitkomme?
Die Totenwächterin verlor für einen kurzen Moment die Fassung. Überraschung zeigte sich auf ihrem jugendlichen Gesicht.
Dein Leben.
Das reicht mir nicht.
Ich stand an der Schwelle zum Totenreich. Was sollte passieren, wenn ich pokerte? Entweder ich betrat lebend oder tot ihre Welt. Meine Lage konnte sich nur verbessern.
Die Wächterin spielte nicht mit und griff nach meinem Arm. Auch sie wusste, dass die Zeit drängte. Ich wich ihr aus, so dass sie nur meinen Pullover zu fassen bekam, doch als das Kreuz darunter sichtbar wurde, ließ sie mich los. Sie versuchte, ihren Schreck zu verbergen, aber es gelang ihr nicht. Anscheinend hatte mir wirklich ein Freund das Schmuckstück geschickt.
Wie du willst! , säuselte sie. Den Anhänger für dein Leben und keine unersättlichen Fimonen, die dich quälen.
Das ist zu wenig, wiederholte ich kühl – Pokern war mein Ding! Ich will zurück in die Welt der Engel – und das mit einer intakten Seele.
Das Gesicht der Wächterin
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