Schloss der Engel: Roman (German Edition)
ich mich von der Totenwächterin nicht manipulieren. Also schlug ich mein Nachtlager auf dem Boden auf. Ich brauchte Schlaf. Der nächste Tag würde bestimmt anstrengend werden.
Die Erholung war mir nicht vergönnt. Ein Schrei weckte mich: Philippe! Ich riss die Tür zum Flur auf. Totenstille.
Hatte ich geträumt? Mir Philippes gequälten Aufschrei nur eingebildet? Ich lauschte. Alles war friedlich, leer und verlassen. Zu verlassen. Irgendjemand musste sich um das Schloss kümmern. Ich hatte frische Orchideen in meinem Zimmer und konnte mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass die Totenwächterin das kunstvolle Gesteck selbst arrangiert hatte. Außerdem war es hier extrem sauber. Weder Staub noch Spinnweben. Und die Wächterin mit Putzlappen und Staubwedel? Lächerlich!
Ich zog die Tür hinter mir zu. Umschauen war erlaubt – nur mitnehmen nicht. Vorsichtig schlich ich den Flur entlang. Vor jeder Biegung versuchte ich herauszufinden, ob mir jemand auflauerte. Wie zuvor begegnete ich keiner Menschenseele. Doch irgendwo mussten sie sein, die Menschenseelen, die von der Totenwächterin geprüft wurden.
Mein Herz zog sich zusammen. Ich hatte Philippe gehört. War er hier?
Ich verbot mir, darüber nachzudenken. Philippe hatte mit dieser Sache nichts zu tun. So weit durfte die Totenwächterin bestimmt nicht gehen. Wozu gab es schließlich Schutzengel?!
Um sicherzugehen, lief ich weiter und erreichte die Treppenhalle. Die Stufen schraubten sich tief ins Erdreich. Ich konnte kein Ende sehen. Vielleicht gab es auch keines, sondern nur ein Loch – wie in der Totengruft.
Die Erinnerung an das Grab überrollte mich. Die gierigen Hände, die mich hinabzogen. Ich schüttelte sie ab. Die Totenwächterin hatte nicht mehr gewagt, mich zu berühren, seitdem sie das Kreuz entdeckt hatte. Es beschützte mich vor ihr. Auf keinen Fall durfte ich es der Wächterin geben, bevor ich hier raus war.
Ich hatte die Treppenhalle zur Hälfte durchquert, als ich ein sanftes Leuchten neben dem Eingang bemerkte. Also gab es hier doch jemanden, es sei denn, die Totenwächterin schlief bei Licht.
Vorsichtig schlich ich durch den schmalen Flur und näherte mich der offen stehenden Tür, aus der ein Lichtschimmer drang. Anschauen war erlaubt, und ich wollte schließlich nur einen Blick hineinwerfen. Ich war neugierig, wie die Dienstboten der Wächterin aussahen. Waren es Menschen, Tiere oder andere Wesen?
Ich wurde enttäuscht – zumindest was die Gefährten der Totenwächterin betraf. Der Raum war leer. Aber ich traute meinen Augen kaum, als ich das Armband entdeckte, das in einer prunkvollen Vitrine auf einem schwarzen Samtkissen lag. Es war mein Armband. Die Kette mit dem Engelsmedaillon, die ich von Philippe zum Abschied geschenkt bekommen und im Wald verloren hatte – oder die mir von der Totenwächterin abgenommen wurde, bevor sie mich verbannte. Es musste eineBedeutung haben, dass sie das Schmuckstück so sorgsam verwahrte. Dennoch war es meines – nicht ihres!
Ich hatte schon meine Finger nach der Vitrine ausgestreckt, als mir klar wurde, warum es hier war: Sie wollte, dass ich es fand – dass ich es nahm . War ich wirklich so leicht hinters Licht zu führen und würde auf einen dermaßen einfachen Trick hereinfallen? Beinahe! Ich musste wirklich besser aufpassen – wenigstens in den nächsten paar Stunden.
Obwohl ich es gerne mitgenommen hätte, ließ ich das Armband an seinem Platz. Philippe würde das verstehen, wenn er wüsste, bei wem sein Geschenk war und warum es dort lag.
Ebenso leise, wie ich gekommen war, verließ ich den Raum. Ich wollte zurück auf mein Zimmer und dabei niemandem begegnen, der mich beim Rumschnüffeln erwischte – am wenigsten der Totenwächterin. Vermutlich war es in meinen Räumen einfacher, ihren Versuchungen zu widerstehen. Am besten verschlief ich die paar Stunden, die ich bei ihr verbringen musste.
Noch bevor ich die Treppenhalle erreichte, hörte ich es wieder. Mein Herz blieb stehen. Es war Philippe. Er litt!
Im Eiltempo raste ich die Treppe hinunter. Graue Fackeln erleuchteten die rauen Wände. Auf was auch immer ich stoßen würde, die Totenwächterin genoss sicher die Abwechslung, mit einer lebenden Seele zu spielen – sonst hätte sie mich im See ertrinken lassen.
Ich bereitete mich darauf vor, Philippe, an Händen gefesselt, von barbarischen Werkzeugen malträtiert vorzufinden. Es war schlimmer, als ich es mir ausmalen konnte. Tränen schossen mir in die Augen, als ich sein
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