Schloss der Engel: Roman (German Edition)
tiefer in den Wald hinein, wo der fahle Mond nur noch die Wipfel der engstehenden Fichten erreichte.
Ein dunkler Schatten huschte zwischen dem Unterholz hindurch – alarmiert blieb ich stehen. Mein Herz raste. Ein wildes Tier! Jagende Wölfe vielleicht. In Panik hielt ich nach einem geeigneten Baum Ausschau, auf den ich flüchten konnte, doch meine Beine schienen mit der Erde verwurzelt.
»Buh!« Wie aus dem Nichts stand er neben mir. »Ich hoffe, ich hab dir einen gehörigen Schrecken eingejagt. Chris hatte recht. Man darf dich keine Minute aus den Augen verlieren. Was machst du hier, allein? Und erzähl bloß nicht, du hättest dich verlaufen!« Arons Miene wurde ernst, als er mir ins Gesicht sah.
Ich wandte mich ab. Es war dunkel und bestimmt hatte er nicht gesehen, dass ich geweint hatte. Nochmals getröstet zu werden, würde ich nicht verkraften. Also ging ich, anstatt mich zu verteidigen, auf Konfrontationskurs. Streiten war einfacher.
»Stehe ich unter Arrest oder nur unter Dauerbeobachtung?«
»Momentan nur unter Beobachtung, aber wenn dir so viel daran liegt, kann ich dich auch einsperren.«
Ich zwang mich, nicht vor Aron zurückzuweichen. Seine Bemerkung erschreckte mich – er scherzte nicht –, weshalb ich fieberhaft nach einer logischen Erklärung für sein merkwürdiges Verhalten suchte.
»Gibt es irgendetwas, das mir entgangen ist?« Ich wusste, dass es Sicherheitspersonal an der Schule gab, um die Kinder zu beschützen, deren Eltern vermögend oder berühmt waren. Doch darunter fiel ich nicht. Meine Eltern hatten zwar eine eigene Firma und konnten das Schulgeld für mich aufbringen, mehr Luxus war aber nicht drin.
»Wenn du ein paar der Grundregeln nicht nur kennen, sondern auch beherzigen könntest, wäre das schon mal ein Anfang«, erklärte Aron. »Ganz allein nachts im Wald umherschleichen gehört zum Beispiel nicht dazu.«
So etwas Ähnliches hatte ich schon von Herrn Sander gehört.
»Und vor was genau sollte ich mich fürchten?«
»Du könntest dich verlaufen«, wich Aron aus.
»Das hast du bereits verhindert.« Ich drängte weiter, da ich den Eindruck hatte, dass er das Thema beenden wollte.
»Eine wilde Bestie könnte dich anfallen.«
»Dann würde ich auf einen Baum flüchten.«
»Du wärst niemals schnell genug.« Aron warf mir einen undefinierbaren Blick zu. »Du musst noch viel lernen. Vor allem musst du lernen, deine spontanen Gefühlsausbrüche unter Kontrolle zu halten.«
Ich schwieg. Aron schien mehr über meine Begegnungen mit Christopher zu wissen, als mir lieb sein konnte.
»Sollte ich dich noch einmal erwischen, wie du dich nachts allein im Wald herumtreibst, werde ich dir Zimmerarrest erteilen.«
Sein strenger Tonfall unterstrich die Drohung, so dass ich keinen Zweifel an seiner Aufrichtigkeit hatte. Also trottete ich Aron folgsam hinterher. Er sorgte dafür, dass ich das Schloss ohne Umwege erreichte, und begleitete mich bis zu meiner Tür.
»Denk daran, Zimmerarrest kann sehr eintönig werden.«
Ich erwiderte nichts und verzog mich in meine Kammer. Ich war verärgert, obwohl ich einsah, dass es unvernünftig war, inder Dunkelheit allein durch die Gegend zu spazieren. Doch mein angeborener Widerstandsgeist drängte, Arons aufgestellte Regel erneut zu brechen – schließlich war ich auf einem Internat und nicht in einem Gefängnis.
Mein Kopf dröhnte, als ich mitten in der Nacht mit einem panischen Gefühl erwachte, wie in der Nacht, als meine Großmutter starb. Meine Eltern! Ich hatte von ihnen geträumt. Bitte nicht!
Dann fiel mir wieder ein, dass ich vergessen hatte, mich nochmals bei ihnen zu melden. Und dann erinnerte ich mich an den vergangenen Abend. An meine Übereinkunft mit Christopher und wie ich mich dabei gefühlt hatte. Was machte ich bloß falsch, dass ich den Jungs, die ich mochte, auf die Nerven ging?
Ich zog mir das Kissen, das beruhigend nach Lavendel duftete, über den Kopf. Vergiss ihn, flüsterte mein Verstand, und mein Herz gab nach, da es wusste, dass es stärker war.
Bis kurz vor Ende der Frühstückszeit blieb ich auf meinem Zimmer. Ich wollte weder Aron noch Christopher begegnen. In der Kantine traf ich dann tatsächlich nur auf Paul. Er hatte gewartet, um mich zum Tierkundeunterricht zu begleiten. Aron hatte ihn darum gebeten.
»Schade, dass wir so spät dran sind. Sonst hätte ich dir noch den Vorbereitungsraum gezeigt«, erklärte Paul, wobei ein diabolisches Grinsen über sein Gesicht huschte. Er glaubte wohl, mich mit
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